Tränengas unter Palmen

Sozialproteste im Sultanat Oman stellen das bisherige Herrschaftsmuster infrage

  • Philip Malzahn
  • Lesedauer: 3 Min.

In mehreren Städten des Sultanats Oman sind vor wenigen Tagen Proteste ausgebrochen. Vor allem junge Menschen gingen im ganzen Land verteilt auf die Straße, um gegen Arbeits- und Perspektivlosigkeit zu protestieren. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Verhaftungen. Laut der Nachrichtenagentur AP soll es staatlichen Medien untersagt worden sein, über die Proteste zu berichten.

Doch bereits einen Tag später folgte eine überraschende Kehrtwende. Polizisten reichten vor laufenden Kameras den Demonstranten Wasser, und am Abend hielt jener Mann im Fernsehen eine versöhnliche Ansprache, dessen Bild im Oman an wirklich jeder Ecke hängt: Sultan Haitham bin Tariq bin Taymur al-Sa’id versprach, 2000 neue Jobs im Regierungssektor und binnen zwei Jahren 15 000 neue Arbeitsstellen im privaten Sektor zu schaffen. Dazu werde man der Bevölkerung Teilzeitjobs im Umfang von etwa einer Million Arbeitsstunden vermitteln. Doch auch nach der Rede gingen wieder Menschen auf die Straßen, es kam abermals zum Einsatz von Tränengas, die Demon-stranten wehrten sich mit Steinwürfen.

Die ambivalente Reaktion mit Repression und Reformversprechen verdeutlicht, wie das Land seit Jahrzehnten funktioniert. Bereits Haithams Vorgänger, sein Cousin Qabus bin Said, ließ sich als Held und Volksfreund feiern. Während der Sultan regelmäßig Reformen verkündet und die Medien diese in höchsten Tönen loben, stellt der Staatsapparat im Hintergrund sicher, dass keine schlechten Nachrichten in die Öffentlichkeit gelangen. Der libanesische Historiker Hisham Sharabi nannte dieses im Nahen Osten übliche System »Neo-Patriarchie«: An der Spitze des Staates steht eine Art Vaterfigur, die mit Liebe und harter Hand regiert.

Im Oman scheint das bewährte Rezept des Königshauses, die eigene Herrschaft zu legitimieren und gleichzeitig den Frieden zu wahren, immer schlechter zu funktionieren. Knapp zwei Drittel der Einwohner sind unter 30 Jahre alt. Durch den Zugang zum Internet und zu sozialen Netzwerken sind sie gut informiert. Für sie ist die Realität eine andere als die, die im Fernsehen gezeigt wird, und es ist ihre Wut, die sich jetzt auf den Straßen zeigt.

Ein weiteres Problem: Bislang wurde die mangelnde politische Freiheit mit einem umfassenden Sozialsystem und Subventionen auf Nahrungsmittel, Medizin und Benzin ausgeglichen. Doch die omanische Wirtschaft befindet sich seit Jahren im Abwärtstrend, denn die Ölreserven schwinden. Das Fünf-Millionen-Einwohner-Land, das auf Platz 21 der erdölreichsten Staaten liegt, muss dringend andere Einnahmequellen finden, um die Bedürfnisse der wachsenden Bevölkerung decken zu können. Sultan Haitham führte im vergangenen Monat eine Mehrwertsteuer in Höhe von fünf Prozent ein - sehr zum Unmut der Bevölkerung. Doch der Staat ist auf die Einnahmen angewiesen: Machte die Staatsverschuldung im Jahr 2014 gerade einmal sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, liegt sie laut der Ratingagentur Fitch jetzt bei 79 Prozent. Ob die neuesten Versprechen des Sultans vor diesem Hintergrund die Lage beruhigen können, ist anzuzweifeln. Die Dauerlösung, bei Unmut vermehrt Arbeitsplätze in der Verwaltung zu schaffen, dürfte aufgebraucht sein. Laut der deutschen Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade and Invest fließen schon etwa drei Viertel der Erdöl-Einnahmen in die Verwaltung.

Die Regierung hat nun auch damit zu kämpfen, worauf man im Oman stets stolz war: Im Vergleich zu anderen Golfmonarchien wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar gilt das Sultanat als relativ liberal und als auf dem Boden geblieben. Im starken Gegensatz zu den Nachbarn erledigen die Omanis auch »niedere« Arbeiten wie Taxifahren - etwas, was anderswo nur von Gastarbeitern aus Afrika oder Südasien getan wird. Das ist das Erbe der Politik des verstorbenen Sultans Qabus bin Said, der 1970 seinen Vater und dessen islamistische Regierung absetzte und das Land mit einem umfangreichen Reformprogramm in die Moderne führte. Doch bislang konnte man eben auch als Taxifahrer im Oman ein relativ luxuriöses Leben genießen. Das wird aufgrund der schwächelnden Wirtschaft und steigenden Preisen schwieriger. Die Spannungen in der Bevölkerung dürften ohne alternative Lösungsansätze weiter zunehmen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal