Das Ende der Ära Netanjahu

Israels Oppositionsführer Lapid gelingt historische Regierungsbildung / Rotationsprinzip auf Posten des Ministerpräsidenten

  • Lesedauer: 3 Min.

Jerusalem. Nach zwölf Jahren steht die Regierung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor dem Aus: Kurz vor Fristende gelang Oppositionsführer Jair Lapid am Mittwochabend die Bildung einer Regierungskoalition ohne den langjährigen Regierungschef. »Ich habe es geschafft«, erklärte der Mitte-Politiker auf Facebook. »Ich verspreche, dass diese Regierung im Dienste aller Bürger Israels arbeiten wird, derjenigen, die für sie gestimmt haben und derjenigen, die es nicht getan haben.«

Nach Marathonverhandlungen gelang dem 57-jährigen ehemaligen Fernsehmoderator die Bildung einer Koalition aus acht Parteien. Die Koalitionspartner bilden das gesamte politische Spektrum ab, sie eint vor allem der Wunsch nach einem Ende der Ära Netanjahu.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Vorgesehen ist eine rotierende Ausübung des Amts des Ministerpräsidenten. Lapid, Chef der Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft), erklärte sich bereit, dem nationalistischen Hardliner Naftali Bennett nach dem Rotationsprinzip den Vortritt für den Posten des Regierungschefs zu überlassen. Lapid würde dann in zwei Jahren Ministerpräsident werden. »Mit Gottes Hilfe werden wir gemeinsam tun, was gut für Israel ist, und wir werden Israel wieder auf den richtigen Weg bringen«, erklärte Bennett.

Um das Anti-Netanjahu-Bündnis zu realisieren, benötigte Lapid die Unterstützung einer Mehrheit der 120 Knesset-Abgeordneten. Vereinbarungen treffen musste er dafür mit sieben Parteien, darunter die Neupartei »Neue Hoffnung« des ehemaligen Netanjahu-Verbündeten Gideon Saar, die Siedler-Partei Jisrael Beitenu des säkularen Nationalisten Avigdor Lieberman, die Arbeitspartei und das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des derzeitigen Verteidigungsministers Benny Gantz. Gantz sprach in einer Erklärung auf Twitter von »einer Nacht der großen Hoffnung«.

Lapid hat nun sieben Tage Zeit für die Bildung eines Kabinetts, im Anschluss muss die neue Regierung vom Parlament vereidigt werden. Beobachter rechnen damit, dass Netanjahu und seine Likud-Partei bis dahin nichts unversucht lassen werden, um die Koalition doch noch zu verhindern. Sollten einige Abgeordnete abspringen und nicht für das Bündnis stimmen, droht Israel die fünfte Parlamentswahl innerhalb von zwei Jahren.

Netanjahus Likud-Partei war als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl im März hervorgegangen, bei der Zusammenstellung einer Koalition jedoch gescheitert. Daraufhin hatte Präsident Reuven Rivlin Lapid mit der Regierungsbildung beauftragt. Am Sonntag hatte sich dann Bennett zu einem Bündnis mit Lapid bereit erklärt.

Bis kurz vor Fristende waren die Verhandlungen festgefahren. Zuletzt hatte die islamisch-konservative Partei Raam allerdings ihre Unterstützung für die Koalition des »Wandels« von Lapid und Bennett erklärt. Die Zustimmung von Raam war lange fraglich. Offenbar ließ sich Parteichef Mansur Abbas Zusagen für Gelder zusichern, die der arabischen Minderheit in Israel zugutekommen würden. Arabische Israelis machen 20 Prozent der Bevölkerung aus.

Abbas ist nach Angaben des Politikexperten Afif Abu Much der erste arabische Politiker, der offen über eine Koalitionsbeteiligung verhandelte. Zuletzt hatten demnach arabische Abgeordnete in den 90er Jahren den damaligen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin unterstützt, ohne an einer Koalition beteiligt zu sein. Mehrere Abgeordnete anderer arabischer Parteien hätten bereits angekündigt, dass sie nicht mit der Regierung unter Bennett, der ein Befürworter der Siedlungspolitik im Westjordanland ist, zusammenarbeiten werden, sagte Abu Much.

Am Mittwochmittag war in Israel auch ein neuer Präsident gewählt worden. Der frühere Chef der linksgerichteten Arbeitspartei, Isaac Herzog, übernimmt das Präsidentenamt am 9. Juli von Rivlin, der nach sieben Jahren aus dem Amt scheidet. Der ehemalige UN-Botschafter seines Landes ist ein Befürworter der Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt. AFP/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal