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»1 Lichtstrahl durchbohrt mich«

Zum Tod der österreichischen Dichterin Friederike Mayröcker

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Konkrete Wahr-Nehmung führt gleichsam zu höherer Wahr-Gebung. »ich stürzte ab auf sesselchen« - das ist es, das wunderbar Mögliche: im Zimmer zaubern, im Bett fliegen, bei Kaffee den Nordpol erreichen. Klein leben, aber groß fantasieren. Schaff es, dass dir jede Diskrepanz gut tut. Gib dir die Blöße, die dich ziert. Genieße die Rücksichtslosigkeit beim Blick in alle Spiegel. Wink deiner Verwitterung zu. Und viel wäre doch schon erreicht, so schreibt diese Dichterin, eine kleine grüne Kastanie in der Hand durchzubringen. »die Welt ist voll von UNSANFT, 1 Lichtstrahl durchbohrt mich« - das ist die betörende Unentschiedenheit: Schafft das Licht denn nun Wärme oder eine Wunde? Ist die Sonne Freude oder aber Fluch, bei all dem, was sie auch heute wieder an den Tag bringt?

Ihr Leben war ihr Schreiben »im Elendsquartier« ihrer Wiener Wohnung, mit »hereinwehenden Regengüssen«, und: »hier kann ich weinen, niemand wird mich fragen«. Seit über fünfzig Jahren lebte und schrieb Friederike Mayröcker in der Zentagasse, lange Zeit Tür an Tür mit dem »Hand- und Herzgefährten«, dem Dichter Ernst Jandl, der im Jahre 2000 starb. Er hat nach dem Motto gearbeitet, Reden sei Silber, Silbe sei Gold. Er drehte und wendete Sprache, bis sie bloßstellte, was sie verhüllen soll. Sonntags aß die Mayröcker mit Jandl zu Mittag gern im Südbahnhof, im hässlichen Restaurant »Rosenkavalier«; die beiden stellten sich dann vor, sie seien gerade von einer Reise gekommen. Liebe: ein Zusichkommen in des jeweils anderen Deutung, während man still nebeneinander geht.

Die Wohnung war ein Treibhaus aus Beschriebenem. Papier schlug aus, als wäre es noch Baum. Überquellende Wäschekörbe mit Briefen und Mappen. Und die Mayröcker inmitten: groß, schlank, blass, ganz in Schwarz bis in die Haarspitzen. Sie zog, wenn die Sonne schien, Vorhänge zu, wie man einen Schluss-Strich zieht. Regen? Schön. O Hilfreichtum, »wenn’s tröpfelt« und die Welt grau wird. Die Schreibmaschine wie ein Atemgerät. Mit den beiden Worten »weiszt du« (das kaputte »ß« auf der Schreibmaschine!) begann die Dichterin oft ihre Niederschriften. In Bedrücktheit war sie eine Freie, unantastbar durchs Vergängnis der Dinge und doch im Einverständnis mit aller Aufhörlichkeit - wenn sie nur ihre Poesie dagegen setzen konnte. Wenn sie durch grauen Stadtwinter ging, den Asphalt mit keinerlei Hast berührte, so ging da eine wache Müde umher, »ich muss nicht sterben, um außerhalb der Welt zu sein, ich bin es schon.«

Mayröcker wird 1924 als Tochter einer Modistin und eines Schuldirektors in Wien geboren, debütiert als Autorin in der Avantgarde-Zeitschrift »Der Plan«. Ihre Arbeit ist fortan ein Schreiben gegen das »blanke, krude Erzählen«. Es entstehen über achtzig Lyrik- und Prosabände, sie verfasst Hörspiele, Kinderbücher und Dramen. Was ist ihr Werk? Roman, Tage- und Nachtbuch, Essay, Monolog und Dialog. »Ich sitze nur GRAUSAM da« heißt eines ihrer Bücher. Sie verwandelt darin jedes Rosenrot auf einem Balkon in einen flammenden Anlass für Reflexion und Erinnerung. Das Dasitzen, das Dahocken hat etwas Urzeitgeprägtes. Als gäbe es die Zeit nicht, die rast und zerrt, als gäbe es nur die Versenkung. Die Muster der Wirklichkeit lösen sich auf, nichts Gültiges bleibt, so baut sich Vertrauen auf in einen Weg, der keine Versprechen kennt: Was den Himmel hält, das hält noch lange nicht die Erde.

Dies Empfinden ist der Kontinent der Mayröcker, und sie ist innig Vertraute anderer ästhetischer Welten. Kleist, Hölderlin, die Bilder Gerhard Richters. Warhol und Handke. Beckett und Barthes. Manchmal schrieb sie im Bett, das Schwarz des Filzstifts rutschte über den Papierrand hinaus: eine Schraffur aus Zeichen - als habe ein Vogel winzige Stöckchen für sein Nest zusammengetragen. Oder: als wüchse, zweidimensional, eine Strauchhecke aus kurzen schwarzen Zweigen. Ein Mensch verlor sich an die Schrift, ging unaufhörlich in ihr unter - und damit auf. Blieb so an einem Leben, wie es erfüllter nicht sein konnte.

Das Gedicht, die poetische Notiz als aufgeladene Zone, durch die so vieles hindurchströmt. Nervenfiguren. Lange Verszeilen, die gar nicht enden wollen vor Atemschwall. Eine Energie ist da, die ins Schweigen will, aber dabei immer neue Worte gebiert. Es war dieser Dichterin »eine jauchzende Vergeblichkeit«: jener Trauer zu entrinnen, die in jedem Vers das Fazit bildet. Es liegt ein Glück darin, sich irgendwann nicht mehr berühren zu lassen von dem, was der Welt draußen gerade am meisten wehtut. Dichten heißt: sich jedem Aktivismus zu entziehen. Werd alternd ein Anfänger, der die Dinge nicht versteht.

Schönste Metaphern hat sie gefunden, denen man Gewalt antäte, wollte man sie alle begreifen. »Gartenschminke in zierlicher Luft« oder »Wallfahrt des Schlafes« oder »kniehohes keuchendes Gras« oder »Es ritt der halbe Mond über den Saal des Gebirgs.« Ja! Warum nicht in der Verwirrnis schwelgen! Und also wuchert Mayröckers Schriftmusik. Als wolle die Dichterin jene hohe Kunst der realen Natur, einzig im Übergang von Wachsen und Vergehen zu existieren, auf Sätze übertragen. Derridas »Fabulierfeuer« und Celans »Lallen«.

»Ich lebe ich schreibe« hat sie formuliert, der Reichtum des Satzes besteht in dem, was ihm fehlt: das Komma. Keine Trennung zwischen Wort und Welt, zwischen Not und Notat. Einmal notiert sie, Existenz, das seien schon beizeiten »Letztbewegungen«. Bewegungen im Kreis, beobachtet vom Tod, dem »Tyrannchen«. Der blieb ihr allzeit ein Ungeliebter. Sie lebte ihn schreibend hinweg. Als sei ausgerechnet er, auf den doch alles zuläuft, total chancenlos. Nun ist Friederike Mayröcker im Alter von 96 Jahren in Wien gestorben.

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