Wieder eine Attacke auf die Rente

Gewerkschaften kritisieren Vorschlag von Regierungsbeirat zur Erhöhung des Renteneintrittsalters

Beiträge und Renteneintrittsalter nach oben, mehr private Altersvorsorge: Es ist immer derselbe Dreiklang von Vorschlägen, die sogenannte Experten machen. Jetzt hat der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium für die Rente erst ab einem Alter von 68 Jahren plädiert. Und zugleich gefordert, das Renteneintrittsalter generell entsprechend der steigenden Lebenserwartung regelmäßig weiter anzuheben.

Der Vorschlag trifft allerdings auf breite Ablehnung, selbst in den Unionsparteien, in denen so mancher seit Jahren genau dies fordert - und in der SPD, die seinerzeit die Rente mit 67 auf den Weg brachte. Der Beirat hatte am Montag ein Gutachten vorgelegt, das längeres Arbeiten im Alter und eine Begrenzung künftiger Rentenerhöhungen vorsieht. In der Vorlage ist von einem Renteneintritt mit 68 Jahren ab dem Jahr 2042 die Rede. Geschehe das nicht, drohten »schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025«. Nach geltender Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nannte die Vorschläge am Dienstag »unsozial«. Der Beirat habe zudem »falsch gerechnet«. Die Beiträge zur Rentenversicherung seien derzeit viel geringer als einst vorhergesagt. Zudem sei die Zahl der Einwohner und der Erwerbstätigen nicht wie prognostiziert gesunken, sondern gestiegen. Derartige »Horrorszenarien sind immer Politik, die nicht wirklich begründet ist«, sagte sich der Bundesfinanzminister auf eine Veranstaltung des SPD-Wirtschaftsforums. Sie dienten dazu, Rentenkürzungen durchzusetzen, für die es in dieser Zeit keinen Anlass gebe. Ähnlich äußerte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) verwies darauf, dass derzeit bereits die Rente mit 67 umgesetzt werde. Die Frage einer weiteren Anhebung des Rentenalters stelle sich momentan nicht. Die Unionsfraktion wolle aber eine höhere Flexibilität beim Renteneintritt erreichen, sagte Brinkhaus am Dienstag in Berlin und fügte hinzu: »Wir müssen uns darum bemühen, dass ältere Menschen überhaupt die Kraft haben, entsprechend arbeiten zu können.« Brinkhaus findet allerdings, es bedürfe einer »wirkungsvollen Reform der privaten Vorsorge«, um die Rente sicherer zu machen. Für eine Stärkung der privaten Vorsorge sprachen sich auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und FDP-Chef Christian Lindner aus.

Linke-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sagte, es müsse zwar die Möglichkeit geben, länger zu arbeiten. Die generelle Anhebung des Rentenalters auf 68 sei aber inakzeptabel. Der Linke-Rentenexperte Matthias W. Birkwald bezeichnete die Behauptung, dass die Rente langfristig nicht finanzierbar sei, als »komplett unseriös«. Er wies auf den neuen EU-Altersreport vom Mai 2021 hin. Demnach steigen die deutschen Rentenausgaben bis 2045 »moderat von zehn auf zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und bis 2070 bleiben sie konstant«. Österreich gebe schon heute 13 Prozent »für eine sehr gute Rente aus«, erklärte der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters würde für viele heißen, dass sie »bis zum Umfallen« arbeiten müssten, so Birkwald. Jeder fünfte Mensch sterbe hierzulande vor seinem 69. Geburtstag. Birkwald wies darauf hin, dass eine Rückkehr zur Rente ab 65 nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung mit einer moderaten Beitragssatzerhöhung von 0,5 Prozentpunkten und einem um eine Milliarde erhöhten Bundeszuschuss finanzierbar wäre. Das Geld für letzteres sei da, wenn die für 2022 geplante Erhöhung des Verteidigungshaushalts gestrichen werde.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte den Vorschlag des Beirats als »fantasielos«. Die Erhöhung des Eintrittsalters bringe für viele de facto Rentenkürzungen mit sich, sagte sie in Berlin. Widerspruch kam auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). »Der Beirat will die Renten drastisch kürzen, den Sozialstaat abbauen und die Alterssicherung privatisieren; all das, um Arbeitgeber massiv zu entlasten«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der »Neuen Osnabrücker Zeitung« (Dienstag). Mit Blick auf die Idee, es solle mehr privat für das Alter vorgesorgt werden, erinnerte Piel daran, dass »rund 40 Prozent der deutschen Haushalte deshalb nicht sparen können, weil der Monat zumeist länger währt als das Geld«.

Unterstützung für den Vorschlag des Beirats kam erwartungsgemäß von Vertretern der Unternehmerverbände. Man dürfe nicht in eine Situation geraten, in der es »mehr Leistungsempfänger als Leistungsgeber« gebe, gab der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Rainer Dulger, zu bedenken.

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