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»Was bedeutet Abseits, Papa?«

zirkus europa

  • Lesedauer: 3 Min.

Timmy ist aufgeregt. Gerade hat er erfahren, dass er lange aufbleiben darf. Timmy ist sieben, und am nächsten Morgen muss er früh zur Schule. Aber das erste EM-Spiel der deutschen Mannschaft steht an - gegen den Weltmeister. Seit Wochen sammelt mein Sohn wie verrückt Panini-Sticker fürs Album, schickt uns jeden Tag zu Lidl, weil wir doch bestimmt noch was einkaufen müssen - und dabei vielleicht ein paar neue Fußballerbilder mitbringen könnten? Büüüüteee!

Die ersten deutschen Sticker kamen erst nach mehr als zehn Versuchen. Ich vermute, dass das kein Zufall war, aber wer will schon Verschwörungstheorien nachhängen. Beim Blick auf die Aufstellung fragt Timmy nun, wo denn Luca Waldschmidt und Julian Brandt sind. Von denen hat er doch die Bildchen aufgeklebt. »Die beiden hat der Bundestrainer nicht nominiert. Das wussten die beim Druck des Albums aber nicht«, versuche ich zu erklären. »Was heißt nominiert, Papa?«, fragt Timmy nach. Es bleibt nicht die letzte lange Erklärungsarie des Abends.

Erst einmal kommen die Hymnen. Mein Sohn ist so aufgekratzt, dass er nicht mehr hinschauen kann und sich wegdreht. Dann liegt da plötzlich ein Typ mit Fallschirm auf dem Rasen, und ich muss meinem Siebenjährigen Aktivismus und Umweltschutz erklären. Danke Greenpeace! Ihr hattet schon gelungenere Proteste. Dass dabei auch noch zwei Menschen verletzt wurden, konnten wir zum Glück nicht sehen.

Nach gutem Beginn der deutschen Mannschaft fällt dann doch das 0:1. Eigentor! Timmy meint, es sah so aus, als hätte Mats Hummels das mit Absicht gemacht. Dass Abpraller vom Schienbein schwer zu kontrollieren sind, bezweifelt er vehement. Kurz danach schießt Toni Kroos einen Freistoß weit übers Tor. Meinem Sohn gefiel das gut: »Schön geschossen. Echt hoch!« Ihm selbst gelingt das im Training bei Grün-Weiß Baumschulenweg noch nicht so oft. Dafür weiß er mittlerweile, dass man andere nicht anknabbert. Genau das macht nun aber Antonio Rüdiger bei Paul Pogba. »Darf der das, Papa?« »Nein.« »Warum macht er das?« »Keine Ahnung.« Den Abend hatte ich mir anders vorgestellt.

In Halbzeit zwei liegt der Kleine nur noch still auf der Couch und lässt sich den Rücken kraulen. Seine Müdigkeit wird nur von zwei Toren der Franzosen kurz durchbrochen, die aber wieder aberkannt werden. »Was bedeutet Abseits, Papa?« Oh Mann!

Ein Tor für die deutsche Elf fällt nicht mehr. Schade, der erste Fußballabend ganz ohne Jubel. Beim Hinaufklettern ins Hochbett fragt Timmy traurig: »Können wir denn jetzt noch Europameister werden?« Ich beginne von Drei-Punkte-Regeln zu schwadronieren, davon, dass zwei Teams aus jeder Gruppe und dann noch die besten Gruppendritten weiterkommen. So schnell ist er zuvor noch bei keiner Gute-Nacht-Geschichte eingeschlafen.

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