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Wunder gibt’s nicht alle Tage

Russland sortiert mit einem 1:0-Sieg über Finnland die Verhältnisse in Gruppe B

Am Ende erschien es alles ganz logisch: Nach einem 1:0 (1:0) am Mittwoch gegen Finnland hat der Co-Gastgeber Russland weiterhin gute Aussichten auf den Sprung ins Achtelfinale der Fußball-EM. Die Männer um Cheftrainer Stanislaw Tschertschessow hoffen weiter auf einen Coup wie bei der Heim-WM 2018 hoffen. Die Finnen indes konnten ihrer Überrraschungs-Story kein neues Kapitel hinzufügen.

Das alles war erwartbar, denn wirft man einen Blick in den Atlas, beschreibt das die ursprünglichen fußballerischen Kräfteverhältnisse eigentlich ganz gut: Sicher, die Russen sind nicht die Größten in Sachen Fußball, gegenüber den Finnen stellen sie aber schon eine andere Dimension dar: Vorgänger Sowjetunion war 1960 Premieren-Europameister, zudem Zweiter 1964, 1972 und 1988. Als die Kicker der russischen Auswahl das erste und einzige Mal gegen Finnland verloren, herrschte noch der Zar. 1912 war das, bei den Olympischen Spielen, ein 0:1, Finnland stand damals selbst noch unter der Herrschaft des Zaren, wenngleich auch mit weitgehender Autonomie. Gleich nach der Oktoberrevolution 1917 sollten die Finnen sich für unabhängig erklären.

Das Verhältnis zu Russland ist trotz der wechselvollen Geschichte ganz in Ordnung, und so kamen sie aus ganz Finnland in die Zarenstadt St. Petersburg, um ihr Team zu unterstützen, insgesamt 3000 Fans. Etwa die Hälfte in gecharteten Bussen, der Rest mit dem Flieger oder im eigenen Auto auf dem Landweg. Vor dem Anpfiff am Mittwochnachmittag spazierten sie in kleinen Grüppchen durch die Petersburger Straßen, und die Einheimischen schauten ein wenig spöttisch auf die bärtigen jungen Männer herab, die trotz der Hitze ihre Maske nicht abnehmen wollten. Ein sehr unterschiedlicher Umgang mit dem Thema Corona, wobei die Finnen bessere Argumente haben. In Russland, wo nur lax mit den Coronamaßnahmen umgegangen wird, schießen die Inzidenzzahlen nach oben, in Helsinki sind sie niedrig.

Viele Suomi-Fans mieden sogar den Weg in die Innenstadt. Sie wählten Unterkünfte im Stadtteil Petrogradskij nahe der EM-Arena, das auf der Krestowskij-Insel liegt. Gegen Mittag stiegen sie in die Taxis gen Insel, wo sie die letzten Kilometer durch die Sicherheitszone spazierten - in Vorfreude auf das Nachmittagsspiel. Es ist zwar ihre erste EM, aber spätestens nach dem glücklichen 1:0 in einem erschreckenden Spiel gegen Dänemark träumen sie nun vom Achtelfinale.

Und schon nach vier Minuten schien der finnische Achtelfinaltraum seine Fortsetzung zu finden: Joel Pohjanpalo, als Profi sonst beim ersten 1. FC Union Berlin tätig, köpfte den Ball ins Netz der Russen nach einer schönen Flanke seines Teamkollegen Jukka Raitala von der rechten Seite. Die Finnland-Fans waren aus dem Häuschen. Ja, war denn das die Möglichkeit? Doch kurz darauf Ernüchterung, Schiedsrichter Danny Makkelie (Niederlande) signalisierte Freistoß: Pohjanpalo hatte im Abseits gestanden.

Fortan hingegen bestürmten die Russen das finnische Tor. Sie mussten nach der Niederlage gegen Belgien unbedingt gewinnen, damit ein Erreichen der K.o.-Runde nicht nur noch durch Glück und fremde Hilfe möglich gewesen wäre. Russlands Cheftrainer Stanislaw Tschertschessow steht in der Heimat schwer in der Kritik, wollte seine Spieler in die Pflicht nehmen: »Es kommt auf diesem Niveau auf die Details an«, hatte er tags zuvor erklärt.

Nun, tatsächlich ging es voran, doch mit allzu viel Liebe zum Detail fielen seine Kicker nicht auf. Geschweige denn mit spielerischen Lösungen. Immer wieder rannten sie sich in den Reihen der giftig verteidigenden Finnen fest, oder trafen, wenn sie denn mal in Schussposition kamen, das Tor nicht, wie beispielsweise Magomed Osdojew, der in der 10. Minute freistehend aus zehn Metern über das Tor semmelte.

Auch Stürmerstar Artjom Dsjuba gelang so gut wie nichts außer einem Pfostentreffer, bei dem er aber im Abseits stand. Tschertschessow holte ihn nach 75 Minuten vom Platz. Nur einmal ging der russische Matchplan auf, in der Nachspielzeit der ersten Hälfte: Da schnappte sich Alexej Mirantschuk im Strafraum den Ball und schlenzte ihn aus zehn Metern ins lange linke Eck. Die 25 000 Zuschauer jubelten.

Auf dem Platz indes ging es ruppig zu, Russlands Außenverteidiger und Leistungsträger Mário Fernandes musste verletzt ausgewechselt werden, immer wieder gab es Unterbrechungen. Die Finnen mühten sich um Chancen, ihr Stürmerstar Teemu Pukki, früher bei Schalke, hatte Anfang der zweiten Hälfte die beste. Seinen Schuss blockte aber Gegenspieler Igor Difejew ab. Auch den Neulingen fehlten die Mittel zu größeren Taten.

Als schließlich der Abschiedspfiff ertönte, rissen die Russen erleichtert die Arme nach oben: Geschafft, mit Ach und Krach! Die Sbornaja bleibt im Rennen um einen Platz im Achtelfinale. Die Finnen indes sangen noch ein paar Minuten ihre Lieder in der Arena, die meisten wollen bis Montag in der alten Zarenstadt bleiben. Dann geht es gegen den WM-Dritten Belgien. Vielleicht wird’s ja noch was mit dem finnischen Wunder.

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