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Gastgeber Schweiz: Im Land der neuen Möglichkeiten

Mit dem Heimturnier soll der Fußball der Frauen nachhaltig gestärkt werden – leicht wird das nicht

  • Alexander Ludewig
  • Lesedauer: 6 Min.
Beeindruckend schön: Sion ist mit dem Stade de Tourbillon ein Spielort der EM, hat selbst aber kein Team in der Schweizer Super League der Frauen.
Beeindruckend schön: Sion ist mit dem Stade de Tourbillon ein Spielort der EM, hat selbst aber kein Team in der Schweizer Super League der Frauen.

»Es wird eine großartige Show bei toller Atmosphäre!« Mit diesen Worten verspricht Dominique Blanc bestimmt nicht zu viel für die Europameisterschaft der Frauen. Der Präsident des Schweizerischen Fußballverbandes (SFV) kann sich sich schon vor dem offiziellen Eröffnungsspiel an diesem Mittwoch in Basel zwischen den Gastgeberinnen aus der Schweiz und Norwegen über ein nahezu ausverkauftes Turnier freuen. Und aus sportlicher Sicht werden es spannende dreieinhalb Wochen: Mit den 16 teilnehmenden Teams startet ein doch relativ ausgeglichenes Feld. Wenn es dann am 27. Juli im Finale um den Titel geht, kommen dafür einige infrage: die Weltmeisterinnen aus Spanien, die Europameisterinnen aus England, die Olympiadritten aus Deutschland, die WM-Dritten aus Schweden, die Französinnen oder die Niederländerinnen.

Das Danach

Große Turniere wecken auch immer große Hoffnungen auf das Danach. Für den Fußball der Frauen heißt das: Sichtbarkeit, Professionalisierung, Wachstum – von allem mehr, im Großen wie im Kleinen. Der europäische Fußballverband Uefa will mit dem Turnier nicht weniger als »eine globale Benchmark für Sportevents setzen«, wie Direktorin Nadine Keßler es beschreibt. Dafür wird ordentlich investiert. Bei der EM 2013 in Schweden zahlte die Uefa 2,2 Millionen Euro an Prämien, vier Jahre später beim Turnier in den Niederlanden waren es acht Millionen, das Doppelte dann 2022 in England. Nun sind es 41 Millionen Euro. Keßler erklärt, warum: »Wir steigern uns enorm, weil wir wissen, wie wichtig Preisgelder sind, was sie in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung und die Förderung der Entwicklung bewirken.«

Wenn die Fußballerinnen aus Thun in der Schweizer Super League spielen, kommen durchschnittlich nur rund 200 Zuschauer. Ähnlich ist das Bild bei den Erstligisten aus Aarau und Rapperswil-Jona. Größer könnte der Kontrast also nicht sein, wenn die EM nun schon vor dem Anpfiff in neue Dimensionen vorgestoßen ist: Die kleine Schweiz hat mit mehr als 600 000 verkauften Eintrittskarten das Mutterland des Fußballs abgelöst. Bei der Europameisterschaft vor drei Jahren in England waren 575 000 Fans in die Stadien geströmt. Nach dem Endspiel in Basel könnten dann nicht nur die Europameisterinnen gefeiert werden, sondern wohl auch ein mit 673 000 Zuschauern komplett ausverkauftes Turnier.

Der Boom

Ob jetzt diese EM oder eine Weltmeisterschaft, das allgemeine Interesse ist während derartiger Großereignisse mit ihrem Eventcharakter ungleich größer als im Fußballalltag. Genau darauf setzt auch der SFV. »Unzählige Mädchen werden im Sog des Booms, den die Europameisterschaft in der Schweiz auslösen wird, den Fußball für sich entdecken«, schreibt der Verband.

Vorbilder können auch helfen, Entwicklungen voranzutreiben – Ramona Bachmann ist ein großes in der Schweiz. »Ich glaube schon, dass das die beste Nati ist, in der ich bislang gespielt habe«, sagt die Mittelfeldspielerin, die schon Meistertitel in vier Ländern gewonnen hat. Das Problem: Der Star des Teams verpasst die EM verletzungsbedingt. Das mindert die Chancen der Gastgeberinnen in der Gruppe A mit Finnland, Island und Auftaktgegner Norwegen – und damit auch die Hoffnungen, mit sportlichem Erfolg zusätzliche Euphorie zu entfachen. Gegen die Norwegerinnen, den stärksten Gruppengegner, verloren die Schweizer Fußballerinnen zuletzt Anfang Juni in Sion mit 0:1 und stiegen dadurch in der Nations League aus der Division A der besten europäischen Teams ab.

Von einem Boom nach Heimturnieren oder Erfolgen ihrer Nationalteams haben schon andere Länder geträumt – und wurden wie Deutschland nach der WM 2011 enttäuscht. Der Fußball der Frauen ist noch immer ein Minusgeschäft. Wie hierzulande in der Bundesliga oder bei der EM in der Schweiz. Mehr als 30 Millionen Euro erwarte die Uefa laut Keßler als Verlust, der jedoch Teil eines langfristigen Investitionsplans ist: Zwischen 2024 und 2030 will der europäische Verband eine Milliarde Euro in den Fußball der Frauen investieren.

Das Ziel

Das Ziel der Uefa, des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der meisten Vereine ist, dass der Fußball der Frauen sich selbst finanziert. Trotz jahrelanger Bemühungen scheint das noch immer unrealistisch. Man kann eben keinem Geldgeber vorschreiben, wo er investieren soll. Ebenso wenig kann man Menschen zwingen, sich Spiele der Fußballerinnen anzusehen. »Unser Sport heißt Fußball«, meint Dirk Zingler. Der Präsident des 1. FC Union sprach über den Aufstieg der Berliner Fußballerinnen in die Bundesliga. Er verstehe den Ansatz nicht, den Fußball der Frauen als selbst tragendes System zu errichten und bezeichnete es als »ideologisches Ziel«. Es gibt also auch andere, durchaus erfolgreiche Wege – wie das von Zingler beschriebene »Ökosystem Union«, in dem das Profiteam der Männer den ganzen Verein finanziert.

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Worte sind billig, das wissen die Fußballerinnen nur allzu gut. Der DFB rechtfertigt unterschiedliche Prämienzahlungen an seine Frauen und Männer weiterhin mit der Einnahmesituation. Im Fall des Titelgewinns bei der EM würde jede Spielerin 120 000 Euro bekommen, die Männer hätten bei ihrer EM im vergangenen Jahr 400 000 Euro bekommen. Man kann darauf warten, dass die Frauen irgendwann einmal genauso viel Geld einspielen wie die Männer, um sie dann auch gleich zu bezahlen. Andere nationale Verbände lassen mit »Equal Pay« schon länger Taten sprechen.

Wie nachhaltig die EM in der Schweiz wirken wird, lässt sich erst später sagen. Kommen dauerhaft sehr viel mehr als durchschnittlich 702 Zuschauer zu den Spielen der Super League? Denn Professionalisierung, Weiterentwicklung und Wachstum entscheiden sich an der Basis. Große Turniere und Siege der Nationalteams sind die Spitze des Erfolgs, erarbeitet wird er in den Vereinen. Deshalb verbindet der SFV mit dem Turnier ein Vermächtnisprogramm: Bis 2027 soll sich die Zahl der derzeit rund 40 000 aktiven Spielerinnen in der Schweiz verdoppeln. Diese sollen dann von 4750 Trainerinnen angeleitet werden, derzeit gibt es 2743. Mit der EM und dem damit erhofften »gesellschaftlichen Impact« will der Verband »neue Möglichkeiten für Mädchen und Frauen schaffen«.

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