Strukturwandel in der Lausitz: »Wir brauchen die Frauen«

Bei den jungen Leuten zwischen 18 bis 39 will knapp die Hälfte weg, bei den Frauen ingesamt sogar jede Fünfte

  • Miriam Schönbach, dpa
  • Lesedauer: 5 Min.

»Die Männer müssen sich in der Lausitz ändern, damit die jungen Frauen bleiben. Wir brauchen die Frauen, um die Zukunft zu gestalten«, sagt Franziska Stölzel. Die 27-Jährige ist Rückkehrerin, Sozialwissenschaftlerin, Netzwerkerin - und eher untypisch für die Region östlich von Dresden. Denn laut Lausitz Monitor - einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zum Strukturwandel - will fast jeder Zweite zwischen 18 und 39 der Lausitz den Rücken kehren. Dabei laufen vor allem junge Frauen der Region davon.

Der Trend ist nicht neu. Fast ein Viertel der ursprünglich 16 Millionen Ostdeutschen zog nach der politischen Wende in zwei Abwanderungswellen in den Westen. Die Ersten gingen um 1989, eine zweite Welle folgte um 2000. Wie die Bevölkerungsstatistiken zeigen, ist die Region Oberlausitz besonders betroffen. Weil es immer weniger Jobs in der Braunkohle- und der Textilwirtschaft gab, packten viele - auch damals oft Frauen - ihre Koffer. Heute fehlen sie in Politik, Kultur, Wirtschaft und im Sozialen.

Geblieben sind Städte wie zum Beispiel Hoyerswerda (Landkreis Bautzen) und Weißwasser (Landkreis Görlitz). Vor 1989 gehörten sie zu den jüngsten Städten der DDR - heute stehen die Orte als Synonym der am stärksten schrumpfenden Städte Deutschlands. Auch Stölzels Eltern verließen nach der Wende das heimatliche Weißwasser, kehrten mit der Einschulung ihrer Tochter zurück aus Bayern. Sie kenne Schuljahrgänge, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Graz mit Außenstelle in Weißwasser, die zu 90 Prozent weg seien.

Diese Entwicklung sehen auch die Lausitzer Bürgermeister. Die Kommunalvertreter haben die Verfasser des Lausitz Monitors nach der ersten Auflage 2020 gebeten, in ihrer Studie auch die Wanderungsbereitschaft junger Menschen, insbesondere der Frauen, anzuschauen. »Das Ergebnis war ernüchternd«, sagt Jörg Heidig. Zusammen mit dem Leipziger Marktforschungsunternehmen MAS Partners hat der Psychologe im Februar 2021 insgesamt 1000 Lausitzer erneut zu Strukturwandel, zur Wirtschaftsregion Lausitz und zur regionaler Verbundenheit befragt. Geplant ist eine Langzeitstudie.

Die aktuellen Ergebnisse liefern ein Stimmungsbild der Region zwischen Cottbus, Spreewald und Görlitz. Etwa zwei Drittel (64 Prozent) der Befragten geben an, die Lausitz zu lieben. Auch den Strukturwandel befürworten immerhin mehr als die Hälfte (57 Prozent), vermissen jedoch die klare Vision. Die meisten Interviewten sind mit der persönlichen Lebenssituation zufrieden.

Und dennoch: »Für jeden zehnten Lausitzer ist es wahrscheinlich, dass er in den nächsten zwei Jahren die Region verlässt. Bei den jungen Leuten zwischen 18 bis 39 wollen sogar knapp die Hälfte weg«, fasst Heidig zusammen. Die differenzierte Betrachtung der Gruppe der jungen Frauen zeigt: Jede Fünfte will weg, ohne Rückkehroption und mit wenig Lausitz-Verbundenheit. »Sie interessieren sich weder für Heimat, Tagebau und Strukturwandel. Ihre Themen sind Kinderbetreuung, Bildung, Wohnen«, sagt Heidig. Zudem hätten sie erkannt, dass diejenigen, die bleiben, sich eher in klassischen Rollenbildern wiederfinden. Zwei Drittel der Befragten verbinden die Lausitz mit konservativen Werten.

Stölzel kennt Hierbleiber- und Weggeher-Biografien. Sie sitzt im Hof des soziokulturellen Zentrums »Telux« in Weißwasser. Hier hat die Wissenschaftlerin Anschluss an andere Kreative und ihr Büro, wo sie den Kohleausstieg für das EU-Projekt »Reboost« im Lausitzer Revier betrachtet. Die Studie untersucht, wie Rumänien, Polen und Deutschland den Transformationsprozess vorantreiben können.

In den weitläufigen ehemaligen Industriehallen gibt es in Nicht-Pandemie-Zeiten Coworking Spaces, ein Café, Konzerte, Poetry Slams, Workshops - ein Hauch von Großstadtflair. »Solche Orte, wie diese hier, machen das Bleiben einfacher. Aber Weißwasser ist natürlich nicht zu vergleichen mit der Clubszene in Berlin oder München«, sagt Sozialwissenschaftlerin Stölzel. Durch ihre wissenschaftliche Arbeit lernt Stölzel ihre Heimat neu kennen, unter anderem führt sie Interviews zum Strukturwandel mit Entscheidern.

Denn Entscheiderinnen sind genauso rar wie Unternehmerinnen. In den meisten Rathäusern der Lausitz sitzen Chefs in den Chefetagen, in den Gemeinde- und Stadträten sind nur knapp 20 Prozent Frauen. Die große Sorge sehen viele ihrer männlichen Befragten im Image der Lausitz: kohlebraun, unzufrieden, konservativ, politisch rechts. »Dabei gibt es so viele Projekte und Initiativen, Lausitzerinnen, die etwas bewegen, aber wahrscheinlich nicht gesehen werden. Junge Leute bekommen so das Gefühl, dass sie gehen müssten.«

An diesem Nachmittag ist auch Raumpionierin und Ansprechpartnerin für potenzielle Zuzügler, Arielle Kohlschmidt, in die sächsische Stadt am Tagebau Nochten gekommen. »Strukturwandel ist von Männern für Männer gedacht. Frauen aber gründen klein«, sagt sie. Deshalb brauche es bessere Bedingungen für junge Frauen. Schließlich sei ihr Bleiben von zentraler Bedeutung für die demografische und gesellschaftliche Entwicklung.

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Wie soll die Lausitz die Frauen halten? Kohlschmidt ist vorsichtig optimistisch. In ihrer Raumpionierstation seien in der Pandemie die Nachfragen der Zuzügler und Rückkehrer um 30 bis 40 Prozent gestiegen, den Kontakt würden oftmals Frauen machen. »Es ist nicht mehr lustig in den Städten«, sagt sie. Aus diesem Grund will die Raumpionierstation in diesem Jahr wieder Treffen für Interessierte, Rückkehrwillige, Neu-Lausitzer und Großstadt-Müde organisieren. Die »Landebahn für Landlustige« soll 18. September in Bad Muskau sein.

Stölzel setzt auf eine neue, selbstbewusste Lausitzer Frauen-Generation - und steht selbst dafür. Sie macht sich stark im Lausitzer Frauen-Netzwerk »F wie Kraft«, sie überlegt mit anderen Frauen zusammen, in die Kommunalpolitik zu gehen. Aus ihrer Sicht müssten die oft nach dem »Gießkannenprinzip« funktionierenden, Programme für Fachkräfte viel stärker auf Frauen ausgelegt werden. Soziale Berufe besser entlohnt, Unternehmen Initiativen für junge Frauen auflegen. »Wir können die Zukunft nicht über die Vergangenheit gestalten. Wir stehen an einer Grenze.« dpa/nd

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