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Außen bunt, innen einfarbig
Unternehmen und Politiker schmücken sich mit der LGBTIQ-Flagge - wenn es nichts kostet
Manchmal sind die sozialen Medien ein Ort der Bekenntnis. Nirgendwo sonst lässt sich so schnell und so einfach Solidarität ausdrücken. »Je suis Charlie« (deutsch: »Ich bin Charlie«) hieß es nach dem Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo; ein schwarzes Profilbild signalisierte nach dem Mord an dem Afroamerikaner George Floyd ein Bekenntnis zur Black-Lives-Matter-Bewegung; ein roter Punkt steht für eines zur Zero-Covid-Strategie.
Nachdem die UEFA es unlängst verbot, die Münchner Fußballarena bei dem EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn am Mittwoch mit Regenbogenfarben zu beleuchten – die Diskussion darum, ob das Nichtäußern einer Kritik wirklich neutral ist oder nicht ebenso parteiisch, sei einmal dahingestellt –, bekannte München sich anderorts: vor dem Rathaus, dem lokalen Windrad – und in den sozialen Medien.
Die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LGBTIQ) sind in Ungarn stark eingeschränkt. Der aktuelle Anlass für das Zeigen bunter Fahnen ist eine Mitte Juni verabschiedete Gesetzesänderung, die ein Verbot von Aufklärungs- und Bildungsmaterial für Kinder sowie von Werbung vorsieht, die eine Sexualität darstellen, die von der heterosexuellen Norm abweicht.
Die Folge war ein Meer von Regenbögen in den digitalen Medien. Die Twitter-Profile von Unternehmen wie Volkswagen, Siemens, Sparkasse, von Politiker*innen aller großen Parteien außer der AfD bis hin zu Feuerwehr, Polizeigewerkschaften und der europäischen Grenzschutzagentur Frontex wurden in Regenbogenfarben getaucht. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigte sich mit bunten Mund-Nasen-Schutz im Stadion und schrieb auf Twitter: »Klares Bekenntnis gegen Ausgrenzung und für Freiheit und Toleranz.«
Dieses Bekenntnis scheint aber nur im Ausland zu gelten – und wenn es nichts kostet, sei es Geld oder Wählerstimmen. Die Autorin Margarete Stokowski schrieb auf Twitter: »Lifehack wär: Bundesregierung ändert noch schnell das queerfeindliche Adoptionsgesetz UM ORBÁN ZU ÄRGERN.«
Derzeit muss eine zweite Mutter das Kind ihrer Ehefrau adoptieren, ein Ehemann wird automatisch als Vater – unabhängig von der biologischen Vaterschaft – anerkannt. Die Union stellt sich zuverlässig gegen eine Änderung des Abstammungsrechts. Im Mai lehnte die Bundesregierung, zu der auch die SPD gehört, außerdem ab, das Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen, einen Entschädigungsfonds für trans- und intergeschlechtliche Menschen einzurichten, denen ein operativen Eingriff gesetzlich vorgeschrieben wurde, und den Gleichheitsparagrafen im Grundgesetz durch »sexuelle Orientierung« zu ergänzen.
Ähnlich heuchlerisch ist die Bilanz bei den großen Unternehmen. Volkswagen beispielsweise bekennt sich gleichzeitig auf seinen Kanälen zu LGBTIQ-Rechten und plant eine Partnerschaft mit dem Weltverband FIFA zur Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Seitdem dieser Austragungsort feststeht, sind laut »Guardian« 6500 migrantische Arbeiter*innen in dem Land gestorben. Männliche Homosexualität ist dort illegal und kann mit bis zu drei Jahre Haft bestraft werden, nach der Scharia sogar mit der Todesstrafe. Doch die Regenbogenflagge will Katar im Stadion nächstes Jahr erlauben – na dann. Als größtes »Pinkwashing-Festival in der EU« bezeichnete Marc Berthold, Referatsleiter der Heinrich Böll Stiftung für die EU, die plötzlichen Social-Media-Bekenner*innen mit Regenbogen.
Der wichtigste Jubel dieser EM. ZIRKUS EUROPA freut Leon Goretzkas Geste vor Ungarns Fans mehr als dessen Tor.
LGBTIQ werden in ihrer Existenz bedroht, verfolgt und diskriminiert. Für sie kann das Bekennen zu ihrer schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans-, intergeschlechtlichen oder queeren Identität materielle Konsequenzen haben: weniger Geld, keine Arbeit, keine Kinder, keine Wohnung, keine Sicherheit. Dass sich Unternehmen, Politiker*innen und Staaten, die sich um die Menschenrechte tagtäglich wenig scheren, mit Regenbogenfarben schmücken, zeigt vor allem eins: Dass es hier nicht um Solidarität mit LGBTIQ geht – und ein Bekenntnis nichts wert ist ohne Taten. In der vergangenen Nacht wurde übrigens rund 120 Kilometer von München entfernt eine LGBTIQ-Flagge angezündet.
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