Das Ende ist nah

Angela Merkels letzte Regierungserklärung widmete sich globalen Aufgaben

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Manchmal ist Wirklichkeit grausamer als die Fantasie. Als Angela Merkel im Jahre 2005 erstmals zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, erschien im Eichborn-Verlag ein Buch mit dem Titel »16 Jahre Merkel sind genug. Chronik einer Kanzlerschaft«. Was damals als Satire auf eine mutmaßlich kurze politische Episode gedacht war, wurde längst von der Geschichte eingeholt und erwies sich zudem als historische Punktlandung: Nach genau 16 Jahren beendet Angela Merkel ihre Amtszeit als Bundeskanzlerin.

So kommt es in diesen Wochen zu einer Reihe von Abschieden. Am Mittwoch stellte sie sich letztmals im Bundestag den Fragen der Abgeordneten, am Donnerstag hielt sie ihre wohl letzte Regierungserklärung und Parlamentsrede. Dabei blieb sich die CDU-Politikerin treu: Der Debatte zur Regierungserklärung folgte sie, ohne große Emotionen erkennen zu lassen. Anlass der nüchternen Rede war das am selben Tag beginnende Treffen der Führungsspitzen der EU in Brüssel. Dort wollen die Staats- und Regierungschefs insbesondere über die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-Pandemie und die Außenbeziehungen des Staatenbundes beraten. Ein wichtiges Thema werden auch die EU-Migrationspolitik und ein erneuerter Pakt mit der Türkei gegen unerwünschte Einwanderung sein. Weitere 3,5 Milliarden Euro soll Ankara für die Versorgung von Syrien-Flüchtlingen bis 2024 nach einem Vorschlag der EU-Kommission erhalten.

Mit einer Bilanz der eigenen Regierungszeit hielt sich Merkel nicht auf, sondern kam auf die weltweiten Aufgaben zu sprechen. Vor allem der Schutz des Klimas und der Biodiversität sei eine gewaltige Herausforderung. »Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft unseres Planeten«, betonte die Politikerin der kleinen Schritte. Den größten Teil ihrer Rede bestimmte das Thema Corona. Angesichts sinkender Infektionszahlen und der steigenden Zahl der Geimpften gebe es Grund zu Zuversicht. Gleichzeitig mahnte Merkel mit Blick auf neu aufkommende Virusvarianten, weiter wachsam zu sein und warb für einen Weg aus der Pandemie »mit Augenmaß«. Die Entscheidung der EU, den Impfstoff gemeinsam zu beschaffen, sei richtig gewesen, verteidigte Merkel das Vorgehen der EU. Die Pandemie könne jedoch nur global besiegt werden und die Impfung sei der Schlüssel dafür. In diesem Zusammenhang lobte die Bundeskanzlerin das Vorhaben der G7-Länder, bis 2022 rund 2,3 Milliarden Impfdosen an Entwicklungsländer zu verteilen.

Die unkoordinierten Alleingänge von EU-Staaten zu Beginn der Krise behandelte Merkel mit Blick nach vorn. Der Europäische Rat werde hierzu erste Lehren ziehen. Merkel lobte die Einigung auf ein EU-weites digitales Covid-Zertifikat, mit dem ab Juli nach einem gemeinsamen Standard Geimpfte, Getestete und Genesene Rechte zurückerhalten. Merkel verwies auch auf den milliardenschweren Aufbauplan, mit dem die Wirtschaft in den EU-Ländern wieder angekurbelt werden soll. Dieses Vorhaben sieht sie auch als Steuerungsinstrument. Nationale Pläne müssten »sorgfältig, zukunftsorientiert und innovativ« aufgesetzt werden, bevor Gelder fließen. Es gelte, »nicht nur zu investieren, sondern gleichzeitig zu reformieren«.

In Migrationsfragen sieht Merkel die EU trotz rechtsstaatlicher Defizite dort auf den Dialog mit der Türkei angewiesen. Als Belohnung stellte sie Ankara eine Ausweitung der Zollunion in Aussicht. Im konfrontativen Verhältnis zu Russland wünscht sie sich mehr Geschlossenheit in der EU. Zugleich forderte sie die EU zum Dialog mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf. Auch mit China müsse man »an Lösungen für globale Herausforderungen arbeiten«.

Die Debatte zu Merkels letzter Rede im Bundestag diente auch dem Aspiranten auf ihre Nachfolge als Bühne. Während der Aussprache hielt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet seine erste Rede im Plenum seit 23 Jahren. Er gilt als Politiker, der Merkels Führungsstil fortsetzen könnte - falls er ins Kanzleramt einzieht. Denn am Ende von Merkels Amtszeit ist die scheinbar automatische Überlegenheit der Union bei Wahlen dahin.

Unser Autor Matthias Krauß, der 2005 ebenfalls ein Buch über Merkel veröffentlicht hatte, nimmt in dieser nd-Ausgabe einen ganz persönlichen Abschied von der Dauerkanzlerin. Wegen ihrer lavierenden, zweideutigen Art, Politik zu machen, »habe das Land Zeit verloren. Zeit, die hätte genutzt werden müssen, um seine Rolle in einer sich verändernden Welt neu zu bestimmen und die großen Krisen rechtzeitig und grundsätzlich anzugehen«, schreibt Krauß. »Das geht nun einmal nicht, wenn man es allen ein wenig recht machen will - und damit den meisten auch unrecht tut.« nd

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