• Berlin
  • Homosexualität in der DDR

Leben im Versteckten

So offen wie heute bei den Pride-Demonstrationen etwa konnten Lesben in Ostberlin ihre Homosexualität nicht ausleben. Ein Gespräch

  • Judith Geffert
  • Lesedauer: 6 Min.

Über wen sprechen wir eigentlich, wenn wir von Lesben in der DDR sprechen?

Wir sprechen auf jeden Fall über mehr Menschen, als uns die gängige Geschichtsschreibung glauben lässt. Als ich vor sieben Jahren angefangen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen, ist mir tatsächlich oft die Frage begegnet: »Lesben in der DDR, gab es sie überhaupt?« Aber ja, es gab sie! Ich habe auch einige von ihnen kennengelernt und noch mehr Archivmaterial darüber gelesen, was sie so gemacht haben. Und wir sprechen über eine sehr heterogene Gruppe. Viele würden sich auch nicht unbedingt als Lesben bezeichnen, weil das schon ein Begriff ist, der sehr an aktivistische Kontexte gebunden war.

Im Interview

Maria Bühner ist Historikerin und Kulturwissenschaftlerin und promoviert zur Subjektivierung weiblicher Homosexualitäten in der DDR. Über den Alltag und die Erfahrung von Berliner Lesben, die in der DDR meist isoliert und unsichtbar lebten, und darüber, welchen Einfluss dies auf die heutige feministische Bewegung hat, sprach mit ihr Judith Geffert.

Unter welchen Bedingungen haben Lesben in der DDR gelebt?

Das war schwierig, weil es gesellschaftlich weder vorgesehen noch gewollt war. Besonders in den 50er und 60er Jahren lebten viele Lesben im Versteckten. Wenn wir in die sexualwissenschaftliche Literatur dieser Zeit schauen, stellen wir fest: Homosexualität wird da klar als vermeintliche Perversion verstanden und auch als solche zum Beispiel in der Psychiatrie versucht zu behandeln. 1968 wurde der Paragraf 175 in der DDR abgeschafft, aber es wurde der Paragraf 151 eingeführt, mit dem sexuelle Handlungen zwischen einer minderjährigen und volljährigen Personen gleichen Geschlechts unter Strafe gestellt wurden. Damit war die DDR zu dieser Zeit quasi in der »Vorreiterinnenrolle« damit, ein Gesetz zu haben, das sich explizit gegen lesbische Sexualität richtete und das besonders das Coming-out für junge Personen erschwert hat. Und es fehlte an medialer Repräsentation. Für viele war es sehr schwer, keine Vorbilder und keine Worte zu haben.

Wie war das in Ostberlin?

In den 70er Jahren entstand die erste Gruppe, die »Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin«, in der Lesben, Schwule, Bisexuelle und auch transgeschlechtliche Personen aktiv waren. Und in den 80er Jahren kam noch mal ganz viel Schwung in die Sache, als es dann möglich war, sich in den Räumen der evangelischen Kirche zu treffen.

Wie kam es, dass ausgerechnet die Kirche in der DDR ein Raum war, in dem Lesben sich treffen konnten?

Nach dem Grundsatzgespräch zwischen evangelischer Kirche und Staat im Jahr 1978 galten besondere Regeln. Treffen von privaten Gruppen in Kirchenräumen mussten nicht mehr angemeldet und bewilligt werden, wie das bei anderen Treffen der Fall war. Es wäre idealisierend, wenn man sich das total konfliktfrei vorstellt. Aber innerhalb der Kirchenöffentlichkeit haben diese Gruppen zu einer Art Aufklärung beigetragen, indem sie sich aktiv eingebracht haben in die Gemeinden. Sie haben sich auch mit den kirchlichen Themen beschäftigt, obwohl die wenigsten in den Gruppen christlich waren. Die waren dort, weil das die Räume waren, in denen man politisch aktiv werden konnte - weil es diese Räume sonst einfach nicht gab.

Was waren die Anliegen der Gruppen?

Die gruppeninterne Arbeit hatte oft viel mit einer Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen zu tun. Und vor allem war es auch ein Aufbrechen von Isolation und Vereinzelung, die fast alle an einem Punkt in ihrem Leben erlebt haben - und dann festzustellen: »Meine Erfahrungen sind nicht singulär, das sind kollektiv geteilte Erfahrungen, die aufgrund bestimmter Strukturen existieren.« Es geht auch um die Entwicklung eines politischen Verständnisses von Homosexualität, wo die Idee des Coming-outs eine ganz wichtige Rolle spielt. Das hat zum Teil dazu geführt, dass Gruppen nach außen sichtbar werden wollten. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Fahrten der »Lesben in der Kirche« ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, um darauf aufmerksam zu machen, dass dort während des Nationalsozialismus auch Lesben inhaftiert waren. 1985 wurden sie tatsächlich mit Polizeigewalt davon abgehalten, am 40-jährigen Jubiläum der Befreiung des Konzentrationslagers teilzunehmen. Das, was wir heute haben, zum Beispiel einen CSD zu veranstalten, war natürlich nicht denkbar.

Welche Bedeutung haben die Gruppen für die einzelnen Mitglieder gespielt?

Es sind Orte der persönlichen Entwicklung gewesen. Wo ganz wichtige Beziehungen geknüpft wurden, und da meine ich nicht nur romantisch-sexuelle, sondern auch Freund*innenschaften. Jenseits von politischen Aspekten ging es auch um Geselligkeit, darum, eine gute Zeit zu haben. Und es waren Orte zum Experimentieren, zum Erproben eines selbstbestimmten politischen Arbeitens.

Ist die Geschichte von Lesben in der DDR auch eine Geschichte von feministischem Widerstand?

Ja, definitiv. In den 80er Jahren entstand die staatsunabhängige Frauenbewegung in der DDR. Die frauenpolitischen Fragen waren vorher sehr stark vom Staat vereinnahmt worden. Nicht unbedingt zum Nachteil: Es gab das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, es gab ein relativ liberales Scheidungsrecht, Kinderbetreuung, Berufstätigkeit wurde ermöglicht, aber zum Teil auch als Norm gesetzt. Aber abweichende Identitätsentwürfe waren da nicht vorgesehen. Die staatsunabhängige Frauenbewegung hat sich mit Themen auseinandergesetzt, die vorher stark marginalisiert waren.

Welche Themen?

Es gab primär drei Strömungen: die Friedensbewegung, die feministische Theologie, die historisch noch überhaupt nicht aufgearbeitet worden ist, und die Lesbengruppen. Zwischen den Gruppen gab es einen engen Austausch und viele Verflechtungen, was wir am Dezember 1989 sehen, als über 1200 Personen in der Volksbühne zusammenkamen und den »Unabhängigen Frauenverband« gründeten. Da waren auch die Lesbengruppen dabei. Der »Unabhängige Frauenverband« war der Versuch eines gemeinsamen feministischen Handelns: eine Organisation zu haben, um sich aktiv in die politischen Umgestaltungsprozesse einzubringen.

Was ist mit dieser Bewegung nach dem Mauerfall passiert?

Zuerst gab es einen großen feministischen Aufbruch. Der Titel des so programmatischen Gründungsmanifests von Ina Merkel lautete: »Ohne Frauen ist kein Staat zu machen.« Das zeigt schon: Wir wollen uns hier nicht unterbuttern lassen. Aber letztlich ist es genau das, was an vielen Stellen passiert ist. Die sogenannte Wende war ein frauenpolitisches Desaster, in dem die vermeintlich selbstverständlichen DDR-Frauenrechte abgeschafft oder stark in Frage gestellt wurden. Die existenziellen Belastungen, die mit der Massenarbeitslosigkeit einhergingen, von der Frauen deutlich stärker betroffen waren als Männer, trugen zu einem Auseinanderbrechen von Freund*innenkreisen bei, weil viele Leute wegzogen. Außerdem hat es eine Rolle gespielt, dass diese Gruppen in einem anderen Gesellschaftssystem entstanden waren und spezifische Forderungen hatten, die dann auf einmal nicht mehr so relevant waren. Die staatlichen Akteur*innen, an die man sich gerichtet hatte, gab es auf einmal nicht mehr. Gerade das feministische Engagement, das lesbische Engagement und auch insgesamt die Arbeit der Homosexuellenbewegung wurden anschließend abgetan als: »Da ging es ja nur um private Sachen.« Als wäre das Private nicht zutiefst politisch!

Was bedeutet das für heute?

Wir sollten nicht vergessen, dass es auch Aktivist*innen von damals zu verdanken ist, dass wir diese Geschichte heute überhaupt aufarbeiten können. In dieser Zeit sind außerdem Frauenzentren entstanden, die es bis heute in vielen Städten gibt, oder auch Stellen für Gleichstellungsbeauftragte. Oft ist nicht das Bewusstsein dafür da, aus welchen Kämpfen heraus das alles entstanden ist. Es gibt viel, wofür wir heute dankbar sein können, an dem wir uns nicht mehr abarbeiten müssen, weil das andere vor uns getan haben.

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