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«Die Uefa muss uns schützen»

Hollands Kapitän Giorginio Wijnaldum fürchtet im Achtelfinale in Budapest neue rassistische Beleidigungen

  • Daniel Theweleit, Amsterdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon auf dem Rasen agiert Giorginio Wijnaldum bei dieser Europameisterschaft für ihn ungewohnt offensiv: Zwei Tore sind dem Kapitän des niederländischen Nationalteams in der Gruppenphase bereits gelungen. Dass dieser zurückhaltende Mensch, den alle nur «Gini» nennen, nun auch verbal in die Offensive geht, war in dieser Form nicht zu erwarten. Nach drei stimmungsvollen Heimspielen in Amsterdam reisen die Niederländer zu ihrem Achtelfinalduell gegen Tschechien nach Budapest, wo der Franzose Kilian Mbappé in der Gruppenphase rassistisch beleidigt worden war. Also stellt Wijnaldum klare Forderungen, wie in solchen Fällen seiner Meinung nach reagiert werden sollte.

Er selbst sei im Stadion noch nicht Opfer derartiger Anfeindungen geworden, erzählt er in einer Presserunde im Örtchen Zeist nahe Amsterdam, wo das Team in den EM-Tagen logiert. Allerdings hat er bereits öffentlich erklärt, im Falle solch eines Übergriffs sofort das Feld zu verlassen - mit dem Ziel, einen Spielabbruch zu erwirken. Diese frühere Aussage hat ihn in einem hochpolitisierten Turnier nun eingeholt. «Ich habe viel nachgedacht: »Gini, du spielst nächsten Sonntag in Ungarn«, sagte ich zu mir. »Was wirst du dann tun, wenn es tatsächlich passiert?« Seine Ankündigung könne schließlich unerwünschte Reaktionen provozieren. »Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll«, sagt er jetzt. »Vielleicht denken Anhänger des Gegners: Die Niederlande sind besser. Wenn wir uns jetzt rassistisch äußern, werden sie das Feld verlassen.« Um nicht in einen persönlichen Konflikt zu geraten, stellt Wijnaldum eine klare Forderung: »Die Uefa muss eine führende Rolle dabei spielen und die Spieler schützen. Sie sollten diejenigen sein, die sagen: Wenn so etwas passiert, brechen wir das Spiel ab.«

Das setzt den Verband, der bereits für seinen Umgang mit dem Schutz von LGBTQ-Rechten kritisiert wird, weiter unter Druck. Zumal Wijnaldum ankündigt, eine »spezielle OneLove-Kapitänsbinde« zu tragen, mit der er ein Zeichen »für Zusammenhalt und damit gegen Ausgrenzung und Diskriminierung« setzen möchte. Der 30-Jährige, der in einem bunten Viertel mitten in Rotterdam aufgewachsen ist, nimmt seine Rolle als Anführer sehr ernst. Auch auf dem Platz. Jürgen Klopp, unter dem Wijnaldum bis zum Ende dieser Saison in Liverpool spielte, bedauert den ablösefreien Wechsel seines zuverlässigen Mittelfeldarbeiters nach Paris sehr. »Was diese wundervolle, fröhliche, selbstlose Person für unser Team und den Verein getan hat, kann ich nicht in Worte fassen, da mein Englisch dafür zu schlecht ist«, sagte Klopp zum Abschied Wijnaldums den englischen Journalisten. »Er ist und bleibt einer der Architekten unseres Erfolgs - für jetzt und immer.«

Tatsächlich war er ein entscheidender Faktor für Klopps Erfolge, den Champions-League-Sieg 2019 und die noch mehr herbeigesehnte Meisterschaft 2020. Allerdings stand er immer etwas im Schatten anderer. Gefeiert wurde die Offensive um Mohamed Salah, Sadio Mané und Roberto Firmino, auch Abwehrchef Virgil van Dijk erhielt viel Aufmerksamkeit. Wijnaldum aber gefällt die Rolle jenseits des ganz grellen Lichts - ihm fehlt das Geltungsbedürfnis, das manch anderen Fußballer antreibt. So sieht er sich auch nicht als wahren Anführer der Elftal. Für ihn sei das der verletzte van Dijk, beide telefonieren fast täglich miteinander. Als »Unsung Hero«, den Helden, der nicht besungen wird, bezeichnet Englands Ex-Nationalspieler Gary Neville den Niederländer. »Man schaut ihm zu und denkt nicht: Der macht alles herausragend gut«, so Neville, »aber er ist ein selbstloser und wichtiger Spieler, denn er kämpft für seine Kollegen gleich mit.« Dazu passt: Wijnaldum gilt als Meister des vorletzten Passes vor Toren.

Ronald Koeman, niederländischer Trainer des FC Barcelona, hätte ihn gerne zu sich geholt. Lange hieß es, man sei sich fast einig, bis Paris St. Germain offenbar das bessere Angebot übermittelte. Bei Barca hätte Wijnaldum auch mit Frenkie de Jong und Memphis Depay zusammenspielen können. Jetzt haben die drei zumindest im Nationalteam noch viel vor. Nachdem die Elftal und Trainer Frank de Boer vor der EM viel Skepsis entgegenschlug, scheint nach drei Vorrundensiegen vieles möglich. Zumal Holland in der leichter wirkenden Hälfte des Turnierbaums spielt und bei einem Sieg gegen Tschechien im Viertelfinale auf Dänemark oder Wales trifft.

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