Liebe ohne echten Penis

Die Serie »Loving her« zeigt uns endlich mal die ganze Welt lesbischer Normalität

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt Abkürzungen, die sind zwar viel zu abseitig für den Alltagsgebrauch, trotzdem können Millionen Zuschauer sie spielend übersetzen. Weil das Fernsehen voller Polizisten ist, wissen zum Beispiel die meisten, dass »Spusi« für Spurensicherung steht oder KTU für Kriminaltechnische Untersuchung. Der VAR ist selbst Fußball-Hassern ein Begriff, seit überall über den Videobeweis diskutiert wird. Und so häufig, wie TV-Ärzte ihre Patienten hineinschicken, muss keiner eine Magnetresonanztomografie erduldet haben, um MRT zu kennen. Nur bei LGBTQI, diesem Buchstabenkoloss für sexuelle Identitäten jenseits vom Vater-Mutter-Kind-Mainstream, dürfte das Gros der »Tatort«-Fans Schwierigkeiten haben.

Kurz zur Kenntnisnahme: Lesbian/Gay/ Bi/Transgender/Queer/Intersexual bezeichnet (gern noch mit einem + am Ende versehen) diverse Arten der geschlechtlichen Identität und Orientierung bis hin zur totalen Entsagung fleischlicher Lust. Aber von Letzterer ist eine ZDF-Serienfigur, die es bislang nur - viele würden sagen: zu - selten gab, nun wirklich nicht betroffen. Umso wichtiger ist, dass sie am Anfang der erwähnten Abkürzung steht: Hanna ist »L«, also lesbisch, und damit statistisch betrachtet eine von rund zehn Prozent gleichgeschlechtlich Liebender in Deutschland, filmisch gesehen allerdings eine Randfigur im Promillebereich.

Während Schwule - englisch: Gays - seit Wolfgang Petersens ARD-Drama »Die Konsequenz« vor 44 Jahren Männerkuss für Männerkuss aus der Schmuddelecke ins Rampenlicht der Unterhaltung vorgedrungen sind, bleibt für Lesben weiterhin der Katzentisch sozialkritischer Emanzipations-, oder schlimmer noch: misogyner Pornofilme. Entweder maximal feminin wie in der Hochglanzserie »The L-Word« oder maskulin wie zuletzt in der Sky-Dramedy »Work in Progress«, aber garantiert nie einfach nur irgendwie, nun ja: weiblich halt. Da kommt die entzückende ZDF-Mediathek-Serie »Loving her« gerade recht, um ein paar Vorurteile zu perforieren.

Die multikulturelle Mittzwanzigerin Hanna aus Bielefeld (Banafshe Hourmazdi) - Familie persisch, Freundin deutsch, Habitus globalisiert - mag nämlich nicht auf Männer stehen; darüber hinaus jedoch ist ihr Leben in etwa so wie das Abertausender Berlinerinnen vor Corona: Vom ständigen Feiern kommt sie kaum zum Lernen. Und darunter leidet nicht nur ihr Studium, sondern schlimmer noch: die Beziehung zur strebsamen Franzi (Lena Klenke), von der sie sich am Ende der ersten Folge trennt und damit in jeder weiteren rund zwölf Minuten Episodendauer Zeit hat, sich neu zu verpartnern.

Leichter gesagt als getan. Denn gleich, ob die virile Lara (Emma Drogunova), die kultivierte Anouk (Larissa Sira Herden), die wohlhabende Josephine (Karin Hanczewski) oder die bisexuelle Sarah (Soma Pysall) - keine ihrer Affären reicht an Franzi heran, die Hanna daher ständig vorm geistigen Auge hat. Franzi hingegen hat das selbige schon längst auf jemand anderes geworfen, ihre neue Freundin Doro nämlich.

Es ist kompliziert. Wenngleich nicht komplizierter als im Rest der Gesellschaft, die Hannas Liebesleben unverdrossen als Regelabweichung betrachtet und damit - das lernen wir aus dieser kleinen Instant-Serie - so falsch liegt wie einst beim Vorurteil, vom Küssen kriege man Aids. Anders ausgedrückt: Vom Gucken dieser Serie kriegt man Durchblick.

Als ein Freund beim »Tat oder Wahrheit« im Club fragt, ob Lesben nicht manchmal ein Penis fehle, beschreibt Hanna dem sprachlosen Tom die eigene Dildo-Kollektion: »Ich hab große, ich hab kleine, ich hab dicke, ich hab dünne, ich hab genoppte, ich hab gewellte, ich hab welche, die im Dunkeln leuchten, ich hab welche, mit denen man ins Internet gehen kann.« Wenn ihre Partnerin einen wolle, fügt die Penis-Sammlerin lächelnd hinzu, »braucht sie nur unter mein Bett zu gucken«. Da schweigt der drollige Cis-Mann, und alles ist gesagt in einer Serie von Leonie Krippendorff (Regie) und Marlene Melchior (Buch), die Homosexualität in einer beschwingten Nonchalance erzählt, die gerne zur Normalität werden darf. Also der Normalität, wie sie ist, nicht wie CSU und AfD sie gerne hätten.

In der ZDF-Mediathek

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