Verzicht auf Plädoyers

Nebenklage nennt den Ballstädt-Prozess eine Farce

  • Lesedauer: 2 Min.

Erfurt. Im Ballstädt-Prozess um den Überfall auf eine Thüringer Kirmesgesellschaft sollen am 12. Juli die Urteile fallen. Während die Staatsanwaltschaft am Montag für die verbliebenen neun Angeklagten Bewährungsstrafen bis zu zwei Jahren forderte, verzichtete die Nebenklage, die die Opfer des brutalen Überfalls vertritt, auf Plädoyers. »Wir werden uns nicht an dieser Farce beteiligen, die vorgibt ein rechtsstaatliches Verfahren zu sein«, begründeten die vier Anwälte und zwei Anwältinnen ihre Entscheidung.

Am frühen Morgen des 9. Februar 2014 hatten 16 Vermummte eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt überfallen und dabei 20 Menschen zum Teil schwer verletzt.

Der Prozess, in dem das Landgericht zum zweiten Mal über die Vorgänge vor mehr als sieben Jahren entscheiden muss, wird seit der Wiederaufnahme durch den Streit mit der Nebenklage bestimmt. Erste Urteile vom Mai 2017 - für die Hauptangeklagten waren damals Gefängnisstrafen von drei Jahren und sechs Monate verhängt worden - hatte der Bundesgerichtshof im Januar 2020 kassiert und ein neues Verfahren angeordnet.

Die daraufhin auf Initiative der Staatsanwaltschaft angebahnten Deals mit den Angeklagten - Bewährungsstrafen im Gegenzug für Geständnisse - waren bei der Nebenklage und in der Zivilgesellschaft auf scharfe Kritik gestoßen. Gericht und Staatsanwaltschaft müssten sich fragen lassen, wie denn nach ihrer Vorstellung das Ziel »einen Schlussstrich zu ziehen, mit dem alle umgehen können« für die Betroffenen mit einer solchen Beendigung erreicht sein soll, hieß es in der von der Nebenklage verbreiteten Erklärung.

Während Richter, Schöffen und Ankläger offenbar ein Ende des Verfahrens anstreben, gehen der Nebenklage die Absprachen angesichts der Brutalität der Taten entschieden zu weit. Sie sehen - anders als die anderen Prozessbeteiligten - gute Chancen für eine härtere Bestrafung der inzwischen geständigen Täter. Die Anwälte der Opfer machten geltend, dass der Bundesgerichtshof beim ersten Urteil vor allem formelle Ungenauigkeiten moniert habe. Zudem bezeichnete es die Nebenklage als unverständlich, wie drei Angeklagte, die derzeit in U-Haft sitzen, mit Bewährung davonkommen können. Gegen sie liefen Ermittlungen wegen Drogenhandels und Geldwäsche im Neonazi-Milieu. Der Prozess sei »ein abgekartetes Spiel« gewesen.

Hannes Grünseisen, Vertreter der Erfurter Staatsanwaltschaft, wies die Vorwürfe und den Verzicht auf die Plädoyers »als feige und nicht sachgerecht« zurück. Er schätze die Chancen für eine Verurteilung ohne die Geständnisse als eher schlecht ein, sagte er. Zudem würden die Bewährungsstrafen der drei Männer aus dem Ballstädt-Verfahren in ein mögliches Strafmaß bei einer erneuten Verurteilung einfließen. epd/nd

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