Besser organisiert, doch ohne Hoffnung

Wie die belarusische Opposition gegen Alexander Lukaschenko und seine Repressionen kämpft

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Am heutigen Dienstag soll das Oberste Gericht von Belarus das Urteil gegen den Bankier Wiktor Babariko verkünden, der vor den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr als wichtigster Herausforderer des belarusischen Präsidenten Alexander Lukaschenko galt. 20 Jahre lang fungierte der 57-jährige Babariko als Vorstandsvorsitzender der einflussreichen Belgazprombank, einer Tochter der russischen Gazprombank. Unter seiner Leitung investierte das Geldhaus viel in unterschiedliche Kulturprojekte, weswegen Babariko der belarusischen Öffentlichkeit seit Jahren positiv aufgefallen war. Als er im Mai 2020 seine Kandidatur verkündete, führte er diverse Umfragen im Netz deutlich an. Unabhängige soziologische Studien lässt der belarusische Staat nicht zu. Die Begeisterung im Internet war dennoch ein erstes Zeichen, dass die Wahlen nicht wieder zum leichten Spiel für Lukaschenko werden würden.

Babariko, dem die Wahlkommission in Minsk die Teilnahme an der Wahl letztlich verweigerte, wurde Mitte Juni 2020 festgenommen. Dem Bankier und seinem Team wurde vorgeworfen, 430 Millionen US-Dollar auf lettische Konten umgeleitet zu haben. Neben der angeblichen Geldwäsche ging es auch um den Vorwurf der Steuerhinterziehung und Bestechungsgelder. Babariko ist der einzige Verdächtige, der seine vermeintliche Schuld nicht anerkennt. Andere hochrangige Mitarbeiter der Belgazprombank gingen auf einen Deal mit den Ermittlungsbehörden ein und sollen maximal sechseinhalb Jahre Haft bekommen. Für Babariko fordert die Staatsanwaltschaft dagegen 15 Jahre Haft.

»Wahrscheinlich wäre ein Geständnis pragmatisch richtiger gewesen«, betonte der Bankier in seinem letzten Wort. »Aber ich kann nicht Verbrechen gestehen, die ich nicht begangen habe.« Gleichzeitig läuft beim Minsker Bezirksgericht ein Verfahren gegen ebenfalls festgenommene Verbündete von Babariko: seine Stabschefin Marija Kolesnikowa und sein Anwalt Maksim Snak, beide Mitglieder im Präsidium des Koordinationsrates der belarusischen Opposition. Kolesnikowa und Snak werden der Vorbereitung eines Staatsstreiches beschuldigt. Außerdem wird ihnen die Gefährdung der nationalen Sicherheit und die Bildung einer extremistischen Gruppe zur Last gelegt.

Babarikos Verbündete befinden sich mittlerweile überwiegend hinter Gittern. Die Chancen, dass er selbst nicht die geforderten 15 Jahren Haft bekommt, sind minimal, denn auch im Sommer 2021 bleibt er gefühlt der mit Abstand beliebteste Oppositionspolitiker des Landes. Dass er derzeit mit der Öffentlichkeit nicht kommunizieren kann, ist dabei sogar ein Vorteil. Der 57-Jährige kann eben nicht viel falsch machen. Durch seine Reden vor Gericht oder durch vielzitierte Briefe an seine Verwandten wird Babarikos Image nur gestärkt. Auch vor seiner Standhaftigkeit im aktuellen Verfahren haben Belarusen, die Lukaschenko kritisch sehen, großen Respekt.

Dies ist nicht der einzige Grund, warum das offizielle Minsk so viel Angst hat vor Babariko. Als langjähriger Chef einer Gazprombank-Tochter hat der Banker gute Kontakte nach Moskau und wäre für den Kreml zumindest theoretisch akzeptabel. Babariko könnte nicht nur in Belarus mit Unterstützung rechnen, sondern womöglich auch im Kreml. Und Moskaus Akzeptanz ist wichtig. Denn unter den aktuellen Umständen hätte eine für Russland unakzeptable Alternative zu Lukaschenko kaum realistische Chancen auf politischen Erfolg. Deshalb wird Babariko vom Minsker Autokraten brutal aus dem Spiel genommen.

Andere prominente Oppositionelle befinden sich derzeit außerhalb von Belarus. Dabei gibt es vor allem zwei bemerkenswerte Kräfte. Zum einen ist das die Mannschaft um die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, die Frau des inhaftierten Bloggers Sergej, die ihre Tätigkeit von Vilnius aus organisiert. Tichanowskaja hat stets betont, keine Präsidentschaftsambitionen zu haben und lediglich für ihren Mann zu kandidieren. Doch inzwischen ist sie durchaus politisch gereift und wird als Politikerin viel ernster wahrgenommen. Als seriöseste Figur nach Babariko gilt aber der ehemalige Kulturminister Pawel Latuschko, der in der Vergangenheit als belarusischer Botschafter in Warschau und Paris fungierte. Im Moment führt er das sogenannte Nationale Anti-Krisen-Management, eine nichtstaatliche Vertretung der belarusischen Opposition, welche die politische Stabilität in Belarus gewährleisten soll, falls es zum Rücktritt von Lukaschenko kommt. Gegenwärtig trommelt Latuschkos Organisation vor allem für schärfere EU-Sanktionen und organisiert Kampagnen, um westliche Unternehmen davon zu überzeugen, die Zusammenarbeit mit dem Regime in Minsk einzustellen. Besonders erfolgreich sind die Aktivitäten dabei bisher allerdings nicht. Trotzdem erfährt Latuschko mit seiner großen diplomatischen Erfahrung viel Wertschätzung unter belarusischen Oppositionellen.

Die verbliebenen Mitstreiter aus Babarikos Wahlteam und den Stäben von Tichanowskaja und Latuschko arbeiten überraschend harmonisch zusammen, unter anderem im Rahmen des gemeinsamen Koordinationsrates der Opposition. In Zeiten, in denen sich die Zahl der öffentlichen Proteste in Belarus aufgrund der beispiellosen Spirale der Repressionen immer mehr verringert, bringt das jedoch wenig. Zumal Tichanowskaja und Latuschko verhältnismäßig zurückhaltend agieren, sich bei ihrer Arbeit vor allem auf die EU konzentrieren und somit als alternative Kandidaten zu Lukaschenko für Russland kaum annehmbar wären. Ihre Chancen auf Erfolg sind realpolitisch minimal. Und so herrscht um die belarussische Opposition vor allem ein Gefühl: das der Hoffnungslosigkeit.

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