Mut zur Wissenslücke

DER KHAN-REPORT: Der Zwang, sich zu jeglichem Thema zu äußern, ist auch Zeichen eines vergifteten Umgangs in der Linken.

  • Ayesha Khan
  • Lesedauer: 3 Min.

Ob der Israel-Palästina-Konflikt, deutsch-rapmetoo oder die aktuelle Debatte um Rassismus im Sport (von der EM bis zu den Olympischen Sommerspielen): Der Druck, sich zu jedem gesellschaftspolitischen Thema äußern zu müssen, ist sehr groß. Besonders von Influencern, Antirassismus-Aktivist*innen und Journalist*innen wird erwartet, dass sie zu jeder Zeit bereit sind, ein Statement abzuliefern. Die Qualität des Statements ist erst einmal egal. »Sharepic« hier, »Buzzwords« da - Hauptsache der Content ist da. Ob der Content das Thema aber historisch oder politisch sauber und korrekt einordnet, ob es sich nur um reine Faktenauflistung oder ein Meinungsstück handelt, ist auf den ersten Blick erst mal gar nicht ersichtlich. Die Grenze zum stumpfen Populismus ist nicht immer klar. Und schwupps, ohne dass man es bemerkt hat, befindet man sich mitten im »Informationskrieg«.

Als der Israel-Gaza-Konflikt im Mai 2021 einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, erhielt ich mehrere dms (so nennt man Privatnachrichten auf Twitter oder Instagram) von Followern, die sich eine eindeutige Positionierung von mir wünschten. »Hast du nichts zu Palästina zu sagen? Typisch Token!« Oder: »Äußere dich mal endlich zum Antisemitismus deiner Migrantifa Genossen«. Erst dachte ich: Okay, muss ich jetzt was dazu sagen, weil die Crowd das möchte? Ist die Nachfrage so groß?

Doch im Gespräch mit meiner lieben Freundin und geschätzten Kollegin Nava, übrigens größter Fan des Khan-Reports seit Tag eins und selber Influencerin und Grimme-Preis-Gewinnerin, stellte sich heraus, dass ich nicht die Einzige war, die diese Art von Nachrichten erhielt. Und ich kann verstehen, dass viele Menschen, diesem Druck nachgeben und Content für ihre Follower raushauen - und das leider oft, ohne sich vorher viel Gedanken gemacht zu haben, welche Narrative sie bedienen oder welche Dynamiken sie lostreten. Schnell werden Schubladen geöffnet und Kategorisierungen vorgenommen. Wer sich zu bestimmten Themen nicht äußert, wird abgestempelt. Obwohl es manchmal völlig okay ist, sich nicht zu einem Thema zu äußern oder auf andere - auf echte Expert*innen - zu verweisen. Es ist auch völlig okay zu sagen: »Liebe Leute, ich weiß leider dazu zu wenig« , oder »Da muss ich mich noch einlesen«, oder »Könnt ihr da was empfehlen?«.

Mut zur (Wissens-)Lücke und nein zu verkürzten Analysen. Ansonsten endet das alles in performativem Aktivismus und substanzloser Symbolpolitik. Siehe SayNoToRacism. Es kann nicht sein, dass in einem Land wie Deutschland (oder England, Frankreich …) 2021 Slogans wie »respect«, »Nie wieder« oder SayNoToRacism ausreichen sollen, um strukturelle, systeminhärente Probleme wie Diskriminierung und Ausbeutung anzugehen.

Irgendwann müssen wir uns über den Umgang miteinander unterhalten. Wann fordern wir von wem und warum »Positioniere dich!« ein? Ist das eine linke oder überhaupt eine gute politische Praxis, ohne das nötige Wissen oder Expertise verkürzte Analysen zu Themenkomplexen zu machen, um andere Linke, aus der eigenen Filterblase oder Community, öffentlich bloßzustellen, zu mobben oder ihnen Labels zu verpassen, in denen sie sich vielleicht selber gar nicht sehen? Ist unser Umgang miteinander schon so vergiftet, und liegt vielleicht darin der Grund, wieso linke Organisierung so schwerfällt? Wieso soziale Fragen hintenanstehen und es in vielen Bewegungen und Gruppen nur um Identität und Zugehörigkeit geht, nicht aber darum, herrschende Verhältnisse zu ändern. Denn das sollte doch das eigentliche Ziel linker Bewegungen sein, oder?

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