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Agententheater

Im Prozess um die Revolutionären Aktionszellen nimmt der Verfassungsschutz eine unrühmliche Rolle ein

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn an diesem Donnerstag der mittlerweile siebte Verhandlungstag gegen Cem K. beginnt, wird der Erkenntnisgewinn wohl wieder recht gering sein. Wie bereits am Dienstagnachmittag ist ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes als Zeuge geladen. Die zeichnen sich jedoch bislang vor allem durch ihre beharrliche Weigerung aus, auch nur die banalsten Fragen zu beantworten und in irgendeiner Weise an der Klärung der Vorwürfe gegen Cem K. beizutragen.

Der 46-Jährige wird beschuldigt, als Mitglied der Revolutionären Aktionszellen (RAZ) mitverantwortlich für die Brandanschläge auf das Haus der Wirtschaft in Charlottenburg im Februar 2010 sowie auf das Weddinger Amtsgericht und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Mitte im April 2011 zu sein. Die deponierten Gaskartuschen mit Zeitzündern waren vor der Eingangstür explodiert, niemand wurde verletzt, auch der Sachschaden war gering. Das in der Nähe des Tatorts gesprühte Kürzel »RAZ« neben Hammer und Sichel führte zu umfangreichen Ermittlungen gegen eine der letzten militanten linksradikalen Gruppen.

Deren Zellen waren zwischen 2009 und 2011 aktiv, auf ihr Konto gehen unter anderem ein Anschlag auf die Agentur für Arbeit sowie Drohbriefe gegen den damaligen Bundesinnenminister und den stellvertretenden Generalbundesanwalt. Eine Großrazzia der Polizei in Berlin, Stuttgart und Magdeburg im Jahr 2013 markierte das Ende der Gruppe, die sich laut eigenen Angaben dem »sozial-revolutionären Widerstand gegen den von Staat und Kapital vorangetriebenen Klassenkampf von oben« verschrieben hatte.

Acht Jahre dauerte es, bis überhaupt Anklage gegen Cem K. erhoben wurde, weitere drei bis der Fall, der mehr als 140 Ordner füllt, vor Gericht kam. Seit Anfang Juni muss sich K. in Dutzenden Prozesstagen wegen Brandstiftung und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion vor der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin verantworten. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 219a wurde von der Staatsanwaltschaft aufgrund mangelnder Beweise mittlerweile fallen gelassen, ebenso wie die Anklagen gegen die ursprünglich weiteren acht Beschuldigten.

Auch die Anklage gegen Cem K. steht laut Sven Lindemann und Ulrich von Klinggräff »auf tönernen Füßen«, wie die beiden Verteidiger am Mittwochnachmittag gegenüber »nd« erklären. Die Aussage der Beamt*innen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) wird daran wohl wenig ändern. Es war ein skurriler Auftritt, den die Geheimdienstlerin Stephanie H. – selbstverständlich ein Deckname – am Mittwoch hinlegte: Mit großer dunkler Sonnenbrille, dunkelgrauer Perücke und bis zur Unkenntlichkeit geschminkt schien sie eher einem billigen Spionagefilm entsprungen zu sein als einer Bundesbehörde. Der Aufforderung des Richters, die Sonnenbrille abzunehmen, kam sie nicht nach. Der Richter ließ sie mit Verweis auf ein Schreiben des BfV, in dem dieser die Geheimhaltung ihrer Identität mit einer angeblichen Gefährdung begründet, gewähren.

Für die Anwälte Sven Lindemann und Ulrich von Klinggräff eine »Farce«. »Die Mimik und Gestik von Zeugen müssen erkennbar sein«, protestieren sie ohne Erfolg. Die Gefährdung der Beamtin sei eine bloße Behauptung ohne jegliche Belege, das dreiseitige Schreiben des BfV ein »Pamphlet« voller Falschaussagen. So behaupte der Verfassungsschutz zur Begründung, dass es nach G20 zu Brandanschlägen auf Wohnhäuser von Staatsbediensteten gekommen sei. »Wann und wo soll es das von Linken in den letzten 20 Jahren gegeben haben?«, fragt Lindemann. »Seit Maaßen ist erkennbar geworden, wo der Verfassungsschutz steht. Es ist eine Behörde mit politischer Haltung, die sich gegen Links richtet«, sagt sein Kollege von Klinggräff mit Verweis auf den ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der immer wieder mit rechten Äußerungen in die Schlagzeilen gerät.

Letztlich hilft aller Protest nichts und die Geheimagentin darf ihre Verkleidung behalten. Doch die 40-Jährige, die nach eigenen Angaben beim BfV »Truppführerin« war, also den Einsatz der umfangreichen Überwachungsmaßnahmen gegen Cem K. und die weiteren RAZ-Mitglieder geleitet hat, will sich an nichts erinnern können – wie schon zuvor am Morgen sämtliche geladenen Polizeibeamten. Die Fragen der Verteidiger beantwortet sie immer gleich: »Dazu liegt mir keine Aussagegenehmigung vor.« »Das ist doch absurd! Glauben sie ernsthaft, dass von der Beantwortung dieser Frage das Wohl dieses Landes abhängt?«, richtet sich von Klinggräff verzweifelt an den Richter, als die Zeugin sich weigert zu beantworten, wie und mit wem sie sich auf den Prozess vorbereitet hat, um herauszufinden, ob sie sich abgesprochen hat.

Doch auch mehrere Unterbrechungen später, die den Prozess bis in den späten Nachmittag verzögern und in denen mehrfach der Verfassungsschutz wegen der Aussagegenehmigung kontaktiert wird, ist aus der Frau mit der großen Sonnenbrille nichts Sachdienliches herauszubekommen. Für die Anwälte ist das »völlige Mauern« der Zeugin nicht nachvollziehbar. »Das macht mich misstrauisch«, sagt Lindemann. Den beiden Anwälten stehen zähe Verhandlungstage bevor. Der Richter will nun prüfen, ob er den Verfassungsschutz bittet, die Aussagegenehmigung zu erweitern.

Für die rund 20 Unterstützer*innen vor dem Gerichtsgebäude ein aussichtsloses Unterfangen: Für sie ist der Verfassungsschutz Teil des Problems, nicht der Lösung. Warum sonst habe er derart umfangreich gegen Linksradikale ermittelt, die keiner Person etwas zuleide getan haben, während die Rechtsterroristen des NSU unbehelligt mordend durchs Land ziehen konnten?

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