Besondere Begleitung

Perfekte Vorbereitung: Wie Tadej Pogacar den Kampf gegen die Uhr plant

  • Tom Mustroph, Libourne
  • Lesedauer: 5 Min.

Tadej Pogacar muss nur noch einen Test bestehen, dann hat er seinen Titel bei der Tour de France aus dem vergangenen Jahr verteidigt. Es handelt sich um das 30,8 Kilometer lange, mit ein paar Kurven und kleineren Hügeln versehene Einzelzeitfahren, das an diesem Sonnabend zwischen Libourne und Saint-Emilion in der Nähe der Hafenstadt Bordeaux ausgetragen wird. Der Slowene geht gelassen in diesen Leistungstest. »Warum sollte ich Angst davor haben?«, meinte er schulterzuckend. »Es ist eine Disziplin, bei der ich immer mein Bestes geben will und 100 Prozent bringe«, sagte er. »Natürlich kann man immer mal einen richtig schlechten Tag haben, man kann sogar sechs Minuten verlieren.« Knapp sechs Minuten bestand sein Vorsprung auf den Zweit- und Drittplatzierten ausgangs der Pyrenäen. Solch ein Einbruch würde das Klassement noch einmal völlig umdrehen. »Aber ich bin zuversichtlich, dass so etwas jetzt nicht passiert«, sagte der Slowene.

Blickt man auf die vergangenen Zeitfahren bei der Tour, hat Pogacar allen Grund für diese Zuversicht. Das letzte im vergangenen Jahr auf der Planche des Belles Filles gewann er in überragender Manier und eroberte so das Gelbe Trikot. Beim ersten Zeitfahren der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt in Laval siegte er ebenfalls. Grund war neben seiner physischen Stärke auch die Akribie, mit der sein Team beide Sonderprüfungen vorbereitet hatte. Schon Monate vorher fuhr sein Coach Allan Peiper allein die Strecken mit dem Rad ab, notierte dabei jede Besonderheit. Peiper war einst selbst Radprofi, er kam von der Verfolgung auf der Bahn und war dank seiner peniblen Vorbereitung vor allem bei den kurzen Zeitfahren erfolgreich. Der Australier ist ein wahrer Sekundenschinder.

Als er im Mai den Kurs in Laval abfuhr, verbrachte er dort einen ganzen Tag, so viele Details gab es zu sehen. »Von den Daten, die wir zuvor zur Verfügung hatten, sah es nicht nach großen Schwierigkeiten aus. Vor Ort sah ich aber, dass alle 500 Meter etwas Besonderes kam - ein Kreisverkehr, eine kleine Abfahrt, ein kleiner Anstieg, eine Straßenverengung. Das ist immer etwas, was einen aus dem Rhythmus bringen kann. Aber wenn man es vorher weiß, kann man sich darauf einstellen und Zeit sparen«, sagte er dem Magazin »cyclingnews«. Peiper übermittelte Pogacar nicht nur diese Daten, er bestand auch darauf, dass der Slowene die Strecke vorab in Augenschein nahm. Das machte sein Schützling auch, sein Kommentar danach war: »Danke Allan, gut, dass ich hergekommen bin und die Strecke selbst angesehen habe.«

Vor dem Start der fünften Etappe, am Tage des Zeitfahrens, war Pogacar dann der einzige Profi im Peloton, der auf die morgendliche Erkundungsfahrt vor dem Rennen verzichtete. Er kannte den Kurs ja, er konnte Kraft sparen und vor allem mental ausspannen. Am Ende hielt er sogar den auf dieser Strecke favorisierten Zeitfahrspezialisten Stefan Küng in Schach. Ähnlich akribisch war auch seine Vorbereitung auf das gewonnene Zeitfahren im Juli 2020. Heute, in Libourne, wird man ihn aller Voraussicht nach auch nicht bei der frühmorgendlichen Testfahrt erblicken. Denn auch diesen Kurs fuhr er bereits ab, nachdem ihm Peiper wieder alle Daten übermittelt hatte.

Der in Belgien lebende Trainer ist zwar nicht bei dieser Tour dabei, weil er sich gerade einer Krebstherapie unterzieht. Aber sein Fehlen, das erst wie ein mögliches Manko gewertet wurde, verwandelte sich in einen Vorteil. Denn von zu Hause aus analysiert Peiper die Rennstrecken noch einmal neu. Er nutzt alle möglichen Datenquellen, von Google Earth bis VeloViewer. »Von jeder Etappe fertige ich eine Powerpoint-Präsentation an, die die sportlichen Leiter am Morgen der jeweiligen Etappe erhalten«, erklärte er. Mehrere Stunden bringt er allein damit zu, all die Informationen in die Powerpoint-Vorlage einzufügen. Peiper verfolgt natürlich auch das Rennen im Fernsehen, wertet Podcasts aus, wie den der Ex-Profis Lance Armstrong und George Hincapie, den er wegen der Fachkompetenz der beiden und ihrer Unparteilichkeit gegenüber der aktuellen Profigeneration als Wissensquelle sehr schätzt. »Man bekommt dadurch einen anderen Blick auf die Tour, den man als Sportlicher Leiter sonst, wenn man mitten im Getümmel ist, gar nicht hat.«

Es sind kleine Vorteile, die der Rennstall UAE aus dieser besonderen Begleitung zieht. Aber auch sie tragen bei zu dem großen Vorsprung, den Pogacar bei dieser Tour bisher herausgefahren hat. Deshalb geht Pogacar auch in dieses Zeitfahren als Favorit. Ebenbürtig ist ihm auf diesem weitgehend flachen Kurs bestenfalls Spezialist Küng. Von Jonas Vingegaard, dem Gesamtzweiten ausgangs der Pyrenäen, ist, gemessen an den Vorleistungen, ebenfalls ein starker Auftritt zu erwarten. Richard Carapaz, der dritte heiße Podiumskandidat, ist als etwas schwächer zu erwarten. Er sollte die restliche Konkurrenz aber auf Abstand halten können.

Nur zwei Sachen wird Tadej Pogacar bei dieser Tour de France nicht erreichen können: Zwar hat er neben dem Gelben Trikot des Gesamtführenden auch das Weiße Trikot des besten jungen Fahrers. Und am Donnerstag, in den Pyrenäen, eroberte er zudem noch das gepunktete Bergtrikot. Aber für das Grüne Trikot des punktbesten Fahrers ist sein Rückstand zu groß. Die Kollektion der drei wichtigsten Wertungstrikots - Gelb, Grün und Gepunktet - gelang bislang nur Eddy Merckx. Diesen Rekord muss sich Pogacar für später aufheben. Erreichbar scheint das für den 22-Jährigen aber.

Ob es ihm gelingen kann, dass seine Kritiker ihm seine Leistungen als dopingfrei abnehmen, ist hingegen weniger wahrscheinlich. Zum einen veröffentlicht Pogacar bisher seine Leistungsdaten nicht. Zum anderen sitzt das Misstrauen gerade im Radsport aufgrund der langen Dopinggeschichte sehr tief. Eine Auffrischung der Zweifel besorgte dann auch die Razzia einer französischen Spezialeinheit gegen Doping und Medikamentenmissbrauch in der Nacht zum Donnerstag. Durchsucht wurde das Teamhotel von Bahrain Victorious, einem arabisch finanzierten und von einem Slowenen geführten Rennstall, der bei dieser Tour bereits zwei Etappensiege feiern konnte. Das Misstrauen fährt immer mit, ob berechtigt oder nicht. Für die Dominanz von Tadej Pogacar gibt es immerhin auch alternative Erklärungsansätze.

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