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LGBT-Gruppen an Chinas Unis blockiert

Die Betreiber der Messenger-App We Chat folgen Regierungsvorstellungen von »ideologischen« Bewegungen

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der 23-jährige Nick mit seinem Bachelor-Studium anfing, hat er als erster Student seiner Uni 2018 einen eigenen LGBT-Club geöffnet. Trafen sich die Studierenden zunächst zu gemeinsamen Filmabenden und Diskussions-Workshops, organisierten sie sich schon bald auch online über We Chat - eine App, die praktisch jeder Chinese nutzt.

»Aber mit der Zeit wurden die Freiheiten immer enger«, sagt Nick, der eigentlich anders heißt, doch aus Angst vor Repressionen lieber anonym bleiben möchte. Vergangene Woche wurden sämtliche We Chat-Accounts von studentischen LGBT-Gruppen (die Abkürzung LGBT steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender) geschlossen, darunter auch die Communitys an der renommierten Tsinghua-Universität in Peking und an der Fudan-Universität in Shanghai. Die betroffenen Accounts erhielten lediglich den Hinweis, gegen bestehende Regeln verstoßen zu haben, jedoch ohne genauere Erklärung. Für junge Homosexuelle war dies ein schwarzer Tag, denn die nun stillgelegten Seiten haben vielen Chinesen nicht nur eine Gemeinschaft gegeben, sondern auch als Informationsplattform über Gender-Themen und Diskriminierungserfahrungen gedient.

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»Um ehrlich zu sein, kommt das alles nicht unerwartet«, sagt der 35-jährige LGBT-Filmemacher Fan Popo, der seit einigen Jahren bereits in Berlin lebt. Nach seinem Studium an der Pekinger Filmakademie wurde er selbst Opfer der behördlichen Zensur - seine Dokumentationen wurden aus dem Netz verbannt. Als Fan Popo zur Uni ging, gab es weder Smartphones noch Social-Media-Accounts. »Dennoch hatten auch wir unsere LGBT-Gruppen, denn jede Universität hatte ihr eigenes elektronisches schwarzes Brett. Diese Gruppen waren sehr wichtig für mich, denn dort habe ich auch meinen ersten Freund gefunden«, erinnert sich der Aktivist.

Offiziell setzt sich die chinesische Regierung bis zu einem gewissen Grad für die Rechte von sexuellen Minderheiten ein. Noch vor knapp 25 Jahren schließlich war Homosexualität per Gesetz eine Straftat, bis 2001 als psychische Störung klassifiziert. Längst gibt es in China die weltweit größte schwule Dating-App und auch offen schwule Clubs und Kneipen. Gleichzeitig jedoch hat Staatschef Xi Jinping in seiner Amtszeit sämtliche Bürgerrechtsbewegungen an die Kandare genommen, darunter sämtliche LGBT-Organisationen. Das Vorgehen ist allerdings weniger inhaltlich motiviert als durch eine tiefgreifende Paranoia. Denn unter Pekings Parteikadern wie auch unter patriotischen Social-Media-Nutzern wird Homosexualität nicht selten als eine US-amerikanische Verschwörung dargestellt, um Zwietracht zu säen und den wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik zu gefährden. Homosexualität wird demnach nur geduldet, solange diese in den Augen der chinesischen Regierung nicht als »Ideologie« missbraucht wird. In einem Kommentar auf Weibo, dem chinesischen Twitter, heißt es etwa: »Nachdem die LGBT-Gruppen geschlossen wurden, haben sie versucht, mit ausländischen Medien zu konspirieren um Schützenhilfe zu bekommen. Solche Aktionen stärken jedoch nur die Entschlossenheit von uns chinesischen Patrioten, unsere Kinder vor der korrupten, westlichen Kultur zu schützen.«

Viele junge Homosexuelle fühlen sich trotz der Maßnahmen nicht als Zielscheibe der Autoritäten. »Sexuelle Minderheiten sind eigentlich kein besonders sensibles Thema. Ich glaube, es geht bei den Schließungen vor allem um Studentengruppen im Allgemeinen«, sagt die 21-jährige Ru, die sich als lesbisch identifiziert. Die Regierung habe Angst vor sozialen Bewegungen, ganz gleich ob Solidarisierungen mit Gewerkschaften oder Frauenrechtlern. »Ganz überraschend kommt das jedoch nicht«, so Ru. »Seit 2015 gibt es einen klaren Trend, dass die Freiheiten der Uni-Gruppen immer enger werden. Früher konnten sie noch ganz einfach durch offizielle Kanäle organisieren. Später war es eher semioffiziell, mittlerweile ist es fast ganz unmöglich.«

Student Nick ist dennoch verhalten optimistisch: Während die Zentralregierung in Peking immer strenger werde, würden sich die Einstellungen der jungen Chinesen immer weiter öffnen. »Insbesondere der Süden Chinas ist sehr pragmatisch«, sagt der 23-Jährige. »Das Schließen der LGBT-Seiten an sich ist nicht so schwerwiegend, die zugrunde liegende Entwicklung jedoch sehr«, sagt er. Und fügt an: Manche Gruppen hätten bereits still und heimlich unter anderen Namen einen neuen Account angelegt.

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