Mission Bauwende

Theresa Keilhacker setzt als neue Präsidentin der Architektenkammer auf einen behutsamen Umgang mit Ressourcen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 7 Min.

Mit Ihnen haben die Berliner Architektinnen und Architekten im Mai eine Frau an ihre Spitze gewählt, die sich im Zweifelsfall gegen Abriss und Neubau und für Sanierung und Umnutzung ausspricht. Ist das ein Paradigmenwechsel, Frau Keilhacker?

Ich glaube schon. Wir wollen eine sozialere, kleinteiligere Stadtentwicklung mit Fokus auf die Bestandsentwicklung, die nicht so sehr auf den Effekt eines Bauwerks setzt, sondern im städtischen Kontext arbeitet, die Bürger*innen mitnimmt, die einfach stadtverträglicher ist.

Interview

Theresa Keilhacker ist seit dem 20. Mai neue Präsidentin der Architektenkammer Berlin. Die freischaffende Architektin hat seit 1998 zusammen mit Boris Kazanski ein Büro, das sich vor allem mit Urban Design beschäftigt, dem gestaltenden Bindeglied zwischen städtischem Kontext und Architektur. Sie ist Mitglied des Netzwerks Aktiv für Architektur. Seit 2005 übte sie verschiedene Ämter in der Architektenkammer aus, von 2013 bis 2017 als deren Vizepräsidentin. 

Dieter Burmeister ist ausgebildeter Ingenieur und war unter anderem nach der Wende am Aufbau der Genossenschaft für einen Gewerbehof an der Saarbrücker Straße in Prenzlauer Berg beteiligt. Der 73-Jährige engagiert sich vielfältig politisch und sozial.

Nicolas Šustr sprach mit den beiden über Nachhaltigkeit im Gebäudesektor am konkreten Beispiel eines abrissbedrohten Gebäudes in Berlin-Moabit.

Sie laden zum Interviewtermin an die Rathenower Straße 15-18 in Moabit ein. Ein Komplex aus den späten 1970er Jahren, der von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM teilweise abgerissen werden soll, um neue Wohnungen und Gewerberäume zu errichten. Warum?

Es ist ein Lehrstück, wie wir die Bauwende hinbekommen müssen. Weil man hier die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit am praktischen Beispiel vorführen kann. Einmal die ökologische. Wenn man den intakten dreigeschossigen Flachbau inklusive Kellergeschoss abreißt, ist die sogenannte Graue Energie verloren. Also die Energie, die für den Bau angefallen ist, und damit verbunden auch das ganze CO2, das dabei emittiert wurde - und das ist eine Menge. Dann gibt es eine baukulturelle Dimension. Es handelt sich um ein kulturell wertzuschätzendes Ensemble. Wenn der Komplex wieder schön hergerichtet wäre, würde man vielleicht deutlicher erkennen, dass es sich um ein sehr ausgewogenes, sehr wohlüberlegtes Gebilde handelt.

Was sind die anderen beiden Dimensionen von Nachhaltigkeit?

Die damaligen Architekten waren sehr politisch und haben sehr funktional und sozial gedacht. Die ökonomische Säule der Nachhaltigkeit ist damit auch schon angedeutet, denn die sträflich vernachlässigte Instandhaltung darf hier nicht dafür herhalten, dass sich das Bauensemble »nicht mehr rechnet«. Es funktioniert, und die Bestandsmieten sind deutlich günstiger, als die Neubaumieten sein werden. Damit sind wir auch schon bei der dritten, der sozialen Dimension. Der mittlere Teil, der an die WBM übertragen worden ist, wurde für betreutes Kinder- und Jugendwohnen konzipiert. Zusammen mit der angrenzenden Schule, dem Jugendclub und der Kita ist das alles planerisch als Gemeinbedarfsfläche ausgewiesen. Für das Projekt der WBM muss ein wichtiger Teil der Fläche zum urbanen Gebiet umgewidmet werden, um Gewerbe und Wohnen in enger Nachbarschaft zu ermöglichen. Die Banken mögen das für die Beleihung. Doch es macht es einer Koalition, die vielleicht andere politische Prioritäten hat, auch viel einfacher, die Fläche zu verkaufen.

Es gibt aber auch einen großen Bedarf an leistbaren neuen Wohnungen. Wo sollen die stattdessen entstehen?

Natürlich könnte man auf dieser Fläche wesentlich mehr Baumasse unterbringen. Aber direkt gegenüber haben wir Geschosswohnungsbau aus den 1950er Jahren. Mit Holzkonstruktionen lassen sich diese mindestens um ein bis zwei Etagen aufstocken. Bereits 2010 wurde mit einem Gutachten belegt, dass die Bauten der Nachkriegszeit entgegen vielfacher Behauptungen der Immobilienwirtschaft zu tragbaren Kosten ertüchtigt werden können. Natürlich muss man über Zuschüsse Wege finden, dass die Aufstockungen nicht überbordend teuer werden. Und der Einbau von Fahrstühlen in vielen Häusern wird allein aufgrund der Alterung der Gesellschaft nötig werden. Es gibt viel zu wenige barrierearme oder -freie Wohnungen in Berlin.

Aufstockung und Dachgeschossausbau scheitern oft daran, dass die Feuerwehr sagt, dass sie im Brandfall nicht anleitern kann. Was muss hier passieren?

Der Schlüssel dafür ist die Neuaufteilung des Straßenraums mit der Verkehrswende. Wir haben deshalb als Architektenkammer bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen einen erneuten Anlauf angeregt, damit sich alle Beteiligten - unter anderem Tiefbau-, Straßen- und Grünflächenämter, Ordnungsämter wegen der Parkraumbewirtschaftung und die Feuerwehr natürlich - an einen Tisch setzen, um eine gemeinsame Lösung für die Aufteilung zu finden. Dann müsste auch nicht bei jedem Lückenschluss-Neubau für 200 000 Euro ein zusätzliches Sicherheitstreppenhaus gebaut werden. Doch bei den Parkplätzen fürchtet die Politik offenbar den Volkszorn.

Zurück zum Komplex Rathenower Straße. Wie sieht die Nutzung derzeit aus?

Der Bedarf für soziale Nutzungen ist riesig. Es gibt hier beispielsweise die Kiezküche, die für die Obdachlosenversorgung rund 1000 Mahlzeiten pro Tag in der Großküche des ehemaligen Jugendzentrums kocht. Die Leute holen sich das Essen hier ab, es wird aber auch ausgeliefert. Noch gibt es hier eine Einrichtung für Drogenabhängige und außerdem das Haus der Weisheit. Dazu gehört eine Moschee im Erdgeschoss, aber auch eine arabische Schule. Die hat Ersatzräume in einer der seit vielen Jahren leer stehenden Etagen des Hochhauses bekommen. Doch für die Moschee, die mindestens 200 Quadratmeter Fläche braucht, gibt es noch keine Lösung, obwohl der zuständige SPD-Stadtrat von Mitte, Ephraim Gothe, das bereits mehrfach versprochen hat. Die Mietverträge sind Ende Mai ausgelaufen und werden nun monatsweise verlängert. Ich habe 2019 einen Sachstandbericht mit meiner Kollegin zusammen erstellt. Bei den dafür veranstalteten Nutzer*innenworkshops waren alle total begeistert, hier zu sein. Dieses Schlechtreden des Ensembles kommt nur von außen.

Die unter anderem von Ihnen angeregte Unterbringung des selbstverwalteten Jugendclubs »Potse« ist an politischem Unwillen gescheitert. Welche weiteren Nutzungsideen für die Bestandsbauten gibt es?

Zunächst ist derzeit trotz der Zusagen keine Lösung für die Moschee in Sicht. Zum Haus der Weisheit gehört der Moscheeverein sowie mit der HaDeWe Integra gGmbH ein Bildungs- und Beschäftigungsträger. Dieter Burmeister, der dort ehrenamtlich arbeitet, hat ein fertiges Konzept in der Tasche, für Jugendliche in Ausbildung hier etwas anzubieten. Aber das kann er selber besser erzählen.

Herr Burmeister, worum geht es dabei?

Es geht darum, Jugendliche auf eine kreative Weise an Handwerksberufe heranzuführen, um ihnen den Einstieg in die Lehre zu erleichtern. Die Leute können hier lernen zu improvisieren. Das ist wichtig. Ich war zwar selber nie Pionier in der DDR, aber die Arbeitsgemeinschaften für Schülerinnen und Schüler im Haus der Pioniere haben mir sehr viel Spaß gemacht. Mit einer Verbindung von Handwerk und Technik wird technisches Verständnis geweckt. So etwas gibt es derzeit hauptsächlich, um junge Menschen an naturwissenschaftliche und technische Studiengänge heranzuführen, aber nicht für Azubis. In Berlin existiert etwas ähnliches nur mit dem Helleum in Hellersdorf.

Warum sehen Sie Bedarf und weswegen muss es in der Rathenower Straße sein?

Burmeister: Ich bin im Migrationsbeirat des Bezirks Mitte, und da geht es darum, dass jugendliche Flüchtlinge, die allein kommen, beengt in Heimen wohnen. Die wollen schnell Geld verdienen, um herauszukommen. Und das klappt an der Imbissbude besser als mit einer Ausbildung. Langfristig ist das aber keine gute Wahl. Wir könnten hier in dem Gebäude neben den Werkstätten auch Wohnmöglichkeiten einrichten. Hier würden die Nationalitäten auch nicht unter sich bleiben, sondern es gäbe eine multikulturelle Durchmischung. Das machen wir auch durch interreligiösen Dialog. Das geht hier, weil wir die Strukturen aufgebaut haben.

Wie würden überhaupt die Gewerbemieten im Neubau aussehen?

Burmeister: Im Gespräch sind 15 Euro pro Quadratmeter. Im Moment zahlen wir fünf Euro. Theoretisch muss der Staat die Mehrkosten in der Trägerarbeit übernehmen, aber praktisch sehe ich, dass immer mehr Geld in Mieten fließt und gezwungenermaßen in der eigentlichen Arbeit gekürzt wird - größere Gruppen, weniger Angebote. Das ist doch Irrsinn, wenn dem vom Land auch noch Vorschub geleistet wird.

Keilhacker: Alleine die Abrisskosten sind enorm. Das Geld sollte man lieber in den Bestandsbau investieren, um den Instandhaltungsrückstau abzubauen und dann die Flächen sofort wieder zu vermieten. Die Jugendlichen könnten eventuell bei der Instandsetzung mitmachen - Hilfe zur Selbsthilfe. Und unter Anleitung eben hier lernen, wie man Fugen auskratzt, wie man sie wieder neu verfugt, wie man ein Holzfenster abschleift und wieder neu streicht. Wie man eine Lippendichtung einbaut, damit der Bau energetisch ertüchtigt ist. Es war ein Fehler, das Gebäude an die WBM zu geben, weil sie leider bisher kein Interesse an einer behutsamen Instandsetzung des Ensembles hat.

Was wäre die bessere Option gewesen?

Burmeister: Eine Genossenschaft wäre gut. Wir haben uns mit unserer Genossenschaft Gewerbehof Saarbrücker Straße in Prenzlauer Berg geweigert, die Mieter rauszuschmeißen und haben dann behutsam saniert. Jetzt können wir mit bezahlbaren Mieten im Innenstadtbereich Handwerk halten. Wir mussten sogar Strafe zahlen dafür, dass wir nicht alle rausgeschmissen haben für die Sanierung, das muss man sich mal vorstellen. Heute gelten wir als Vorzeigeprojekt. Noch fehlen uns die Fürsprecher*innen für das Projekt hier. Aber es gab schon so viele Verzögerungen, dass ich vorsichtig optimistisch bin, dass das noch klappt.

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