Ehrbar ist nicht gleich ehrlich

Hiram Kümper berichtet über ein mächtiges Handelsimperium in der Frühen Neuzeit: die Hanse

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine »eigenartige Liebesgeschichte« will Hiram Kümper, Geschichtsprofessor in Mannheim, bieten. Sie basiert auf dem »Traum vom ehrbaren Kaufmann«. Die Liebenden sollen die Deutschen und die Hanse sein. Der Spezialist für den Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit, Jahrgang 1981, berichtet über einen vom 12. bis Mitte des 17. Jahrhunderts bestehenden mächtigen Bund hauptsächlich norddeutscher Kaufleute. Ein ambitioniertes Unternehmen, das jedoch für eine »Liebesgeschichte« nicht taugt. Aber hochaktuell erscheint. Angesichts von Dieselskandal und vieler anderer Probleme deutscher Unternehmen und Banken auf Kosten des Volkes ist die Frage nach der »Ehrbarkeit« von Kaufleuten nach wie vor präsent.

Kümper spannt einen weiten Bogen, von den ersten losen kaufmännischen Verbindungen über die Blütezeit der Hanse im 16. Jahrhundert bis hin zu deren allmählichem Niedergang. Er informiert über seinerzeitige Handels- und Kapitalströme, Konsumgewohnheiten und die Folgen der großen geografischen Entdeckungen, vor allem der Entdeckung Amerikas, sowie neue Produktionsbedingungen und Technologien.

Nicht nur zeitlich, auch räumlich weit gefasst ist sein Blick. Der Aktionsradius der Hanse reichte von Brügge und London im Westen bis Nowgorod im äußersten Osten, von Bergen in Norwegen bis nach Sachsen im Süden. Nord- und Ostsee waren für die Hanse die wichtigsten Transportwege, Die Kogge war das wichtigste Verkehrsmittel zu Wasser.

Kümper beschreibt die Netzwerkstruktur zwischen den selbstständigen Hanse-Kaufleuten, die sich stark von denen italienischer oder süddeutscher Handelstreibender unterschieden. Eine doppelte Buchführung war im Bereich der Hanse nicht nötig, da die einzelnen Geschäftsbereiche zu kleinteilig waren. In der Summe dieser zahlreichen, vielfältigsten Geschäftsvorgänge lag aber gerade die Kraft der Hanse. Aus der freiwilligen Zusammenarbeit der regional agierenden Kaufleute erwuchs eine immense ökonomische, zuweilen auch militärische Macht, die als Ordnungsfaktor im gesamten Hanseraum wirkte.

In strahlendem Licht erscheinen der Aufstieg vor allem von Lübeck und Hamburg, aber auch von Danzig zu stark frequentierten Handelsplätzen. Der Kölner »Sonderweg«, die enorme Rolle der westfälischen Hansestadt Soest wie auch das Ringen des Braunschweiger Bürgertums um seine Unabhängigkeit vom Landesherrn werden anschaulich geschildert.

Der Autor beleuchtet das manchmal gespannte, oft aber durch die Personalunion von Kaufleuten und Ratsherren gleich gerichtete Interesse der Hansestädte. Er analysiert deren Sozialstruktur, gewährt Einblicke in die großen Kontore in London (Stalhof) und berichtet, wie die Bedeutung von Brügge durch Versandung des Zuflusses sank, eine auch heute nicht unbekannte Katastrophe.

Man erfährt, dass die skandinavischen Staaten zeitweise in der Kalmarer Union ihr Handelsglück versuchten. In den auch damals tobenden Handelskriegen setzte sich schließlich Schweden durch. Nationenbildung und Staatsgründungen, mit denen systematische verwaltungsmäßige Durchdringung der Territorien einherging, veränderten und beschränkten die Selbstbestimmung der Städte. Und damit auch der Hanse.

In vielen Details, gestützt auf neueste Forschungsergebnisse, entfaltet sich in diesem Buch ein beeindruckendes Panorama der Zeit, die eng mit dem wohl berühmtesten kaufmännischen Verbund, der Hanse, verknüpft ist. Alles ist akribisch mit Quellen belegt. Der Autor zitiert oft frühneuhochdeutsche sowie plattdeutsche Originaldokumente. Sein Buch ist mit unterhaltsamen Anekdoten gespickt. Eine lesenswerte Lektüre.

Doch um auf die eingangs vom Rezensenten angezweifelte Behauptung von der »Ehrbarkeit« der Kaufleute zurückzukommen: Zur Zeit der Hanse ist diese in gewisser Weise gerechtfertigt. Sie bestand aus dem Vertrauen in mündliche Vereinbarungen, dem sakrosankten »Handschlagvertragsschluss«, und speiste sich vor allem aus einer nach der Reformation propagierten, religiös motivierten Sparsamkeit und Aufrichtigkeit. Der »ehrbare Kaufmann« trat vielfach auch als Mäzen von Künsten und Wissenschaft auf.

Nichtsdestotrotz - und dies scheint an vielen Stellen des Buches auf - beeinflusste auch zur Zeit der Hanse Eigennutz manche Entscheidung. Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen war grundsätzlich nicht verpönt. Piraterie, See- und Landblockaden, Ausschlüsse, Verweigerung von Zahlungen etc. zur Erringung von Handelshoheit waren Usus. All das spricht für das Urteil des Autors, dass »ehrbar« nicht identisch mit »ehrlich« sei.

Hiram Kümper setzt sich auch mit Legenden und Mythen über die Hanse auseinander, insbesondere mit den für nationalistisch-rassistische Ideologie missbrauchten. Eine verdienstvolle Arbeit. Und nicht von ungefähr wurde der Mannheimer Geschichtsprofessor von seinen Studenten mit dem »Lehrpreis« gewürdigt.

Hiram Kümper: Der Traum vom ehrbaren Kaufmann. Die Deutschen und die Hanse. Propyläen, 541 S., geb., 28 €.

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