Porträt widerständiger Nerdkultur

Der Film «Alles ist Eins. Ausser der 0» erzählt von den Anfängen des Chaos Computer Clubs und seinem Mitbegründer Wau Holland

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang der 80er Jahre habe ich dann erstmals von einem Chaos Computer Club und einem gewissen Dr. Wau gehört. Ich hatte da sofort eine bestimmte Vorstellung von so etwas wie einem Raketenwissenschaftler mit weißem Arbeitsmantel und Rechenschieber und Kugelschreiber in der Brusttasche. Als ich Wau damals in Hamburg kennengelernt habe, ging die Tür auf und es kam so eine Art Waldschrat in einer krachledernen Dreiviertelhose herein, ein rundlicher, lebensbejahender, bacchantischer Typ, mehr das Gegenteil von dem, was ich mir vorgestellt hatte.« So beschreibt Peter Glaser seine erste Begegnung mit Wau Holland, dem eigentlichen Helden des Dokumentarfilms »Alles ist Eins. Ausser der 0«.

Holland selbst konnte zu dem sehr gelungenen Film, der ab 29. Juli in den deutschen Kinos anläuft, nichts mehr beitragen, Holland, eine der interessantesten Figuren der anarchischen Sub- und Gegenkulturen der 80er und 90er Jahre, ist bereits 2001 im Alter von nur 49 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben.

Dass er 20 Jahre später als Hauptdarsteller immer noch einen abendfüllenden Film tragen kann, liegt nicht nur daran, dass es eine Fülle von Bild- und Filmmaterial über ihn gibt, sondern ist auch in der sehr liebevollen Arbeit der beiden Regisseure Klaus Maeck und Tanja Schwerdorf begründet.

Maeck und Schwerdorf collagieren aus Archivmaterial und Glasers Erinnerungen einen wilden Ritt durch die Geschichte der BRD seit den 80er Jahren. Die Entscheidung, den großartigen Erzähler Glaser, der bis heute Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs ist und die ersten Protagonisten des Clubs aus der Nähe erlebt hat, als Zeitzeugen durch den Film führen zu lassen, ist ein Glücksgriff. Glasers launische Einlassungen sind oft spöttisch, aber immer wohlwollend. Seine Sprache ist ein wohltuendes Relikt aus der im Film besprochenen Ära linker Subkultur und man könnte ihm gern länger zuhören als 90 Filmminuten.

Überdies beweisen Maeck und Schwerdorf ein gutes Gefühl für Tempo, Timing und Bildsprache, ebenso wie für Sound. Für die Musik zeichnet der ehemalige Einstürzende-Neubauten-Gitarrist und musikalische Tausendsassa Alexander Hacke verantwortlich, unter anderem dürfen Abwärts, Die Goldenen Zitronen und Die Toten Hosen (die in einem anderen Leben offenbar einmal so etwas wie Punks waren) ihre Versionen von »Computerstaat« beisteuern.

Auch die Entscheidung, sich auf die Zeit bis Anfang der 2000er zu konzentrieren, also auf die Lebzeiten von »Dr. Wau«, ist eine sehr gute, denn mindestens bis dahin war der Club tatsächlich das, was man in seliger Erinnerung »subversiv« nennt, und Holland war, das beweist er auch im Film mehrmals, klug genug, Vereinnahmungsversuche zu erkennen und derartige Angebote frohgemut auszuschlagen.

»Ende der 90er Jahre landete Wau in Jena, wo gerade ein Internet-Start-up Riesenerfolge auf dem Aktienmarkt feierte (gemeint ist die Firma ›Intershop‹, N.H.) und Wau einen gut dotierten Job anbot. Als Datenschützer. Aber Wau zog es vor, weiter seinen Job im Jugendzentrum zu machen«, kommentiert Glaser.

So rekonstruieren Maeck und Schwerdorf atemlos die Geschichte des CCC, und die ist ja wirklich eine Räuberpistole. Angefangen mit dem ersten Hack ins Sicherheitsnetz des damaligen BTX (eine sehr frühe Form der Online-Kommunikation), den Wau so beschrieb: »Was haben die denn für ein Kennwort? Und Steffen (gemeint ist Steffen Wernéry, einer der prominentesten Mitstreiter Hollands, N.H.) sagte: Och, vielleicht ihre eigene Telefonnummer? Erster Versuch, ein Treffer.« Und so geht es weiter, etwa mit dem berühmten Nasa-Hack, der Wernéry sogar einen Gefängnisaufenthalt in Frankreich einbrachte.

Einmal wurde man sogar vom Staubsaugerhersteller Vorwerk verklagt. Allerdings gerieten die Computer-Anarchos bald mit den staatlichen Geheimdiensten aneinander, und mit dem mysteriösen Tod des Hackers Karl Koch, dessen Geschichte später in dem Spielfilm »23 - Nichts ist so wie es scheint« nachgezeichnet wurde, verlor auch der CCC seine Unschuld. Schließlich wirft der Film noch einen kurzen Blick auf den aktuellen Zustand des Chaos Computer Clubs, dessen heutigen Protagonisten aber offenbar kaum mehr als die übliche aktivistische Folklore geblieben ist.

»Alles ist Eins. Ausser der 0« indes ist ein echtes Filmvergnügen und eine überaus pointierte Dokumentation widerständiger deutscher Pop- und Nerdkultur der vergangenen 40 Jahre.

»Alles ist Eins. Ausser der 0«: Deutschland 2020. Regie und Drehbuch: Klaus Maerk, Tanja Schwerdorf, 90 Minuten. Start: 29. Juli.

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