In Nürnberg wird sich begeistert bedröhnt

Eine Textsammlung von Joshua Groß: Hier sprechen Menschen, vor allem junge, so wie sie wirklich reden

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Nachdem im vergangenen Jahr Joshua Groß’ Debütroman »Flexen in Miami« ebenso zahlreiche Leser wie Kritiker begeisterte, legt der Verlag Matthes und Seitz nun nach und bringt mit dem Prosaband »Entkommen« zeitnah einen weiteren Titel des 1989 in der Nähe von Nürnberg geborenen preisgekrönten jungen Autors heraus.

»Entkommen« ist ein wildes Potpourri von gut 20 recht unterschiedlichen Texten, die zumeist schon in Literaturzeitschriften erschienen sind. Von einer Filmkritik über literaturwissenschaftliche Essays bis hin zu tagebuchartigen Texten, Kurzgeschichten und einigen längeren Erzählungen, von denen eine auch eine Vorarbeit für einen im Entstehen begriffenen Roman sein könnte, ist auf diesen 270 Seiten eine sehr eigenwillige Mischung von dem versammelt, was Joshua Groß in den vergangenen Jahren geschrieben hat.

Er gilt gemeinhin als einer jener jüngeren Autoren, der die Digitalisierung unseres Lebens und vor allem der jüngeren Generation literarisch umzusetzen weiß. Wobei die Texte von Joshua Groß in diesem Band - beileibe nicht jeder ist eine literarische Perle - doch so viel mehr können als nur generationenspezifische Themen abzuarbeiten.

Seine Texte sind zumeist im städtischen Raum von Nürnberg angesiedelt, es geht aber auch mal in die USA, ins italienische Bergamo, nach Sardinien oder mehrmals ins fiktionale Elektroluchs. Dort ist auch besagte längere Erzählung mit dem Titel »Eine Walküre im Guccimantel …« angesiedelt. Ob sich hinter Elektroluchs das leicht ins Surreale verzerrte Miami aus Groß’ letztem Roman verbirgt oder eine aufständisch-popkulturelle Parallelwelt mit brutalen Polizeitruppen, Stränden, Palmen, viel Kultur und einer Siedlung in der Peripherie, die sich zu einem Ort des Widerstands und der Selbstorganisation entwickelt, sei dahingestellt. Dieses Quartier heißt übrigens Rhoxus-Siedlung, schon im Roman »Flexen in Miami« gab es eine Stiftung namens Rhoxus.

Die Hauptfigur in »Eine Walküre im Guccimantel …« ist eine junge Dichterin, die genetisch mit Wildpferden gekreuzt ist und sich auf eine Liebesbeziehung mit einem jungen Filmemacher einlässt. Für das World-Building dieser mit wenigen Strichen kongenial inszenierten Science-Fiction steht Donna Haraways letztes Buch »Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän« Pate, das in diversen Texten dieses Bandes immer wieder fleißig zitiert wird.

Der Band »Entkommen« bietet im Grunde einen recht intimen Einblick in das literarisch-kulturelle Universum von Joshua Groß, der neben Donna Haraway viel Maggie Nelson und auch Roberto Bolano zitiert und zur Illustration seiner Gedanken auch mal die Star-Wars-Serie »Mandalorian« oder das beliebte (und süchtig machende) Onlinespiel Candy-Crush nutzt.

In Groß’ Texten sprechen Menschen, vor allem junge, so wie sie wirklich reden. Dialoge in Form von Textnachrichten gehören hier ebenso dazu, wie das Interesse, sich mit grundlegenden philosophischen Fragestellungen von Wahrnehmung, künstlerischer Darstellung und ihrer sozialen Funktion zu beschäftigen.

Außerdem wird viel gekifft in diesen Nürnberger Geschichten, die dann stellenweise sogar ein wenig an die frühe Prosa von Rainald Goetz erinnern, dessen subkulturelle Figuren im München der 1980er Jahre unterwegs waren und sich ähnlich begeistert bedröhnten und den Stadtraum unsicher machten.

Einige Texte in diesem Band wirken, als wären sie recht spontan im Rough-and-ready-Style entstanden, was im heutigen Literaturbetrieb mit seinen glattpolierten Texten eher eine angenehm überraschende Seltenheit ist.

Joshua Groß: Entkommen. Matthes & Seitz, 272 S., geb., 22 €.

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