Orbáns große Räuberei

Ungarns Ministerpräsident leidet an Größenwahn. Das zeigt sich auch an seinen Besitztümern, meint Arpad W.Tóta.

  • Arpad W.Tóta
  • Lesedauer: 4 Min.

Korruption gab es schon immer - mit dieser Aussage wehren sich manche Wähler der in Ungarn regierenden Fidesz-Partei gegen immer wieder auftauchende neue Beweise. So funktionieren Staaten eben, sagen sie. Man solle sich nicht damit beschäftigen, wie viel ein Politiker an sich reißt, sondern wie viel Gutes er tut - das kann man auch hören.

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán versetzt uns derzeit zurück in eine Ära vor dem Zweiten Weltkrieg, als die Politik im Lande von der Aristokratie bestimmt wurde. Ihr gebührten Pomp und Luxus ohne Wenn und Aber. Man glaubte, der König hätte sich diese Privilegien durch außerordentliche Verdienste erworben, genauso wie der Tagelöhner seine Lehmhütte und seinen einzigen Sonntagsanzug.

Heutzutage sind es die bösen Liberalen, die meinen, gerade Viktor Orbán verdiene keinerlei Belohnung, jemand anderes müsse ihm vorgezogen werden, der keine Freude in der Quälerei von anderen findet. Dann gibt es Ungarn, die der Ansicht sind, die alte Tradition müsste doch weiter gepflegt werden. Dann aber würde Viktor Orbán eine Lehmhütte verdienen, denn erst dem Abschaffen der alten Ordnung wäre es doch zu verdanken, dass ein solch ungehobelter Kerl auf der Karriereleiter so hoch klettern konnte.

Der kürzlich begonnene Ausbau der Residenz der Familie Orbán in Hatvanpuszta - einem Ort etwa 40 km westlich von Budapest - hat eine erstaunliche Dimension. Es geht um ein früheres Herrschaftsgut der Habsburger von 13 Hektar. Die Baukosten werden auf rund 30 Millionen Euro geschätzt. Wohl gemerkt: Bis auf den letzten Cent finanziert aus Steuergeldern. Haben wir ihm dieses Geld für den fürstlichen Bau gegeben oder wurde es uns einfach weggenommen? Ansichtssache. Jedenfalls leben laut Eurostat 75 Prozent der Ungarn unterhalb der EU-Armutsgrenze. Da wundert es nicht, dass das Projekt streng geheimgehalten wurde; erst kürzlich erfuhr die Öffentlichkeit davon, weil Journalisten Drohnenaufnahmen davon gemacht wurden.

Weder dem langjährigen Partei- und Staatsschef János Kádár und seinen kommunistischen Nachkommen noch den später demokratisch gewählten Ministerpräsidenten wäre es in den Sinn gekommen, dass für sie das ehemalige Anwesen des Erzherzogs Joseph, Feldmarschall des Österreichischen Kaiserreiches, als feudaler Familiensitz angemessen wäre. Für eine solche Bereicherung und ihre schamlose Zurschaustellung gibt es kein Beispiel seit dem Zweiten Weltkrieg.

Nach dem Krieg folgte eine Gesellschaft, die den Volksaufstand von 1956 brauchte, um zu lernen wie man sich anständig benimmt. Die ungarischen Kommunisten, mit Kádár an der Spitze, vermieden tunlichst eine derartige Protzerei. Hätte ein Berater dem Generalsekretär damals empfohlen, in einen ehemaligen Palast der Habsburger umzuziehen, hätte ihn Kádár hinausgeworfen. Orbán aber meint, ihm gebühre so etwas sehr wohl.

Was treibt ihn eigentlich an? Eine Art kindlicher Ehrgeiz? Größenwahn, der sich bei Anderen in einem Auto mit vergoldetem Lenkrad offenbart? Oder geht es ihm um ein politisches Kalkül: Benehme ich mich wie ein Herrscher, dann wird man mich auch als Herrscher anerkennen?

Ein interessanter Stoff für Seelenforscher und zukünftige Historiker. Doch die heutigen haben damit ihre Probleme. Zum Beispiel, wenn sie feststellen müssen, dass die ihnen vertraute, frühere Welt, die durch Reichtum und Elend und Wiener Walzer geprägt wurde, schlussendlich von Revolutionen hinweggefegt wurde. Und zwar durch Bürger und Proletarier, die man nicht überzeugen konnte, dass die Welt in alle Ewigkeit so bleiben solle. Sie kamen und nahmen alles wieder zurück. Das Volk staunte, als es sah, wie seine früheren Herren lebten, während es selbst nur dahinvegetierte.

Als die Familie Orbán das ehemalige Anwesen von Erzherzog Joseph von Österreich in Besitz nahm, wurde sie von ihren Anhängern beklatscht. Über den Weg dahin wissen die meisten Leute aber nichts. Nicht, dass das fürstliche Areal einer Firma gehört, deren Besitzer Orbans Vater ist. Nicht, dass der heutige Mieter Ungarns reichster Mann ist, ein früherer Nachbar von Orbán. So konnte man diese Räuberei als »nationales Interesse« verkaufen. Unsere Kinder sollten daraus lernen und dafür sorgen, dass so etwas in Ungarn künftig nicht noch einmal geschieht.

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