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Teenie leidet

Man wird älter und älter: »Happier than ever«, das zweite Album von Billie Eilish

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.

»Happier than ever« ist das zweite Album von Billie Eilish. Und gleich der erste Song bringt es auf den Punkt. »Getting older« heißt er. Und da singsangt die 19-Jährige dies und das zu tieffrequentem Synthie-Gesummse. Dass es schwierig ist mit dem Ex, der Liebe, dem Leben. Na ja. Die Probleme, die man mit 19 halt so hat. Man leidet. Und im Titelstück singt sie: »When I’m away from you / I’m happier than ever«, und man merkt gleich: Sie ist gar nicht wirklich glücklicher als jemals. Sie ist nur ganz, ganz tapfer, weil sie sich von ihrem toxischen Boyfriend getrennt hat. Und das ist okay.

Solche Lieder hört man als Teenager. Und die streamen das dann milliardenfach. »Die Mehrheit der Milliardenstreams kam von Teenagern, weil sie etwas oder vielleicht sogar sich selbst in Eilishs Liedern wiedererkannten«, schreibt der »Zeit«-Rezensent Daniel Gerhardt. »Den Rest (der Streams) besorgten Menschen, die nicht einsehen wollten, dass sie eigentlich zu alt dafür waren.«

Und »zu alt« ist ein gutes Stichwort. Ich finde, dass ein mittelalter Mensch (also ich) nicht reicht, um das Album zu rezensieren, darum hole ich mein zwölfjähriges Kind dazu. Ein Brainstorming zu Billie Eilish ergibt: »Bad Guy« ist ganz gut, das Video zu dem einen Lied mit den schwarzen Tränen ist eklig, und das James-Bond-Lied ist okay, aber nicht so gut wie »Skyfall«. Wir schauen das Video zu »Happier than ever«, in dem Eilish am Ende auf dem Dach eines Hauses im Überschwemmungsgebiet steht. Aber Naturkatastrophen als Metaphern für das Seelenleben von Jung-Celebrities fühlen sich für uns jetzt gerade irgendwie unpassend an.

Der zweite Song »I didn’t change my number« handelt von einem typischen Promi-Problem: Leute plaudern Sachen über das Privatleben des Stars aus. In dem Song erwähnt sie ihre persönliche Assistentin Laura, die ihr sagt, dass sie zu den Anrufern netter sein soll. Und auch bei dem musikalisch ansprechenden »Billie Bossa Nova« geht es um Geheimniswahrung: »Some information not for sharing / use different names at hotel check-ins«. Von der Musik her erinnert das ein bisschen an die französische Band Nouvelle Vague. »Kenn ich nicht«, sagt das Kind und wippt mit. Mit »NDA« macht sie sogar aus einem »Non-Disclosure Agreement«, also einer Schweigevereinbarung, einen Songtitel.

Eigentlich ist das Album ein Konzeptalbum, dem man auch den Titel »My life as a young celebrity« hätte geben können. Alle Songs handeln irgendwie davon. Abgesehen davon gibt es noch ein paar andere Nettigkeiten. Im Kuschelhormonsong »Oxytocin« macht Eilish aus Gott eine »sie«. Und in »Therefore I am« zitiert sie den französischen Philosophen René Descartes. Das Kind und ich diskutieren daraufhin den Bibelvers, in dem es heißt, Gott habe die Menschen nach seinem Bilde geschaffen, und ich erkläre Descartes.
In »Male Fantasy« gibt’s Geständnisverse: »Home alone, tryin’ not to eat / distract myself with pornography«. Das übersetze ich dem Kind nicht. Meine Theorie mit dem »Promileiden-Album« nimmt es Schulterzuckend hin. »Aber die wollte doch berühmt werden, oder nicht?«, fragt es. Ist nicht so leicht mit dem Berühmtsein, sage ich. Bestes Lied? Wir skippen noch mal durch: »Oxytocin«, »Therefore I am« und »Happier than ever«.

Spätestens nach der Hälfte des Albums komme ich mit dem wehleidigen Gesangsstil von Eilish nicht mehr klar. Und dann kommt auch noch Autotune. Puh. Schon bei den Oscars hatte Eilish ja aus »Yesterday« eine mit geschlossenen Augen vorgetragene Nahtoderfahrung gemacht. Das Kind verdreht die Augen: »Wieso, das war doch ganz gut, oder?! Du immer und deine heiligen Beatles.«

»Noch irgendwas, was du dazu sagen willst?«, frage ich das Kind. Antwort: »Olivia Rodrigo war irgendwie besser.«

Billie Eilish: »Happier than ever« (Interscope Records)

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