Den Frieden am Klosterplatz verteidigt

Bundestagsfraktionschef Bartsch beim Wahlkampfauftakt der märkischen Linkspartei

Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch im Gespräch mit nd-Redakteur Daniel Lücking (l.) und Anke Schwarzenberg, die für Christian Görke in den Landtag nachrücken würde.
Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch im Gespräch mit nd-Redakteur Daniel Lücking (l.) und Anke Schwarzenberg, die für Christian Görke in den Landtag nachrücken würde.

Der Landtagsabgeordnete Christian Görke (Linke) wohnt in Potsdam, kandidiert jedoch in der Lausitz für den Bundestag. Fremd ist ihm die Gegend aber nicht. Im Cottbuser Stadtteil Sachsendorf hat er 1988 als Freundschaftspionierleiter und Geschichtslehrer angefangen. Es war seine erste Station als Pädagoge. Als er vor einigen Wochen zu einem Wählerforum im Pückler-Gymnasium eingeladen war und aus der Straßenbahn stieg, kam ihm die Gegend gleich bekannt vor. Als er die Aula betrat, war er sich sicher: »Mensch, das ist doch meine Oberschule. Hier bin ich Lehrer gewesen.«

Immer, wenn Görke diese Begebenheit erzählt, strahlt er – auch am Sonnabend beim offiziellen Wahlkampfauftakt seiner Landespartei auf dem Cottbuser Klosterplatz. Dort nimmt er es mit Humor, dass der nicht für Brandenburg, sondern für Innen- und Verteidigungspolitik zuständige nd-Redakteur Daniel Lücking erst nicht weiß, wer er ist. Lücking staunt, als Christian Görke auf der Bühne als ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident vorgestellt wird. Der Redakteur verteilt am nd-Stand die Satzung und Eintrittsformulare für die in Gründung befindliche Genossenschaft, die ab Januar die Zeitung herausgeben soll. Christian Görke überlegt nicht lange, sondern zeichnet gleich einen Anteil. »Ich möchte, dass wir die Kurve kriegen, dass die Zeitung eine Zukunft hat«, erklärt er. Bei Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter braucht Redakteur Lücking nicht mehr zu werben. Der hat bereits alles per E-Mail erledigt, sich so zwei Anteile zu je 500 Euro gesichert.

Lücking wurde von den nd-Beschäftigten in den Aufsichtsrat der Genossenschaft gewählt. Sein ungewöhnlicher Lebensweg führt auf dem Klosterplatz zu Nachfragen. Er war Oberleutnant der Bundeswehr und in Afghanistan im Einsatz. Was er dort gemacht hat? »Propaganda, muss ich ehrlich sagen«, gesteht der 42-Jährige. Er hat mit einheimischen Kräften einen Radiosender betrieben, dessen Aufgabe es war, der Bevölkerung zu erklären, was die Bundeswehr in Afghanistan Gutes tue. Doch 2012 hat er im Nachhinein feststellen müssen, dass Bundestagsabgeordnete, die über die Verlängerung des Militäreinsatzes abstimmen, oft wenig Ahnung davon haben, was am Hindukusch vor sich geht – wo angeblich Deutschland verteidigt wird, wie einst Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) behauptet hatte.

Um Afghanistan dreht es sich auch in der Rede, die Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch auf dem Klosterplatz hält. Von einem Wahlkampfauftritt in Stralsund kommend hat er fast 400 Kilometer zurückgelegt, um am selben Tage noch in Cottbus sprechen zu können. »Wir haben damals gesagt, der Krieg gegen den Terror ist nicht zu gewinnen«, erinnert Bartsch an den Beginn des Militäreinsatzes vor 20 Jahren. »Bomben werden niemals Frieden schaffen«, weiß er. Ihn regt auf, dass so getan wird, als müsse die Linke ihre Haltung überdenken, weil sich ihre Abgeordneten bei der Abstimmung über das Ausfliegen von Ortskräften durch die Bundeswehr mehrheitlich der Stimme enthalten haben. Die Linke sei ganz klar dafür gewesen, so viele Menschen wie möglich zu retten. »Die anderen müssen mal ihre außenpolitischen Positionen überdenken, sonst droht in Mali das nächste Desaster«, warnt der Fraktionschef. Er kritisiert, dass die Taliban zwar nicht einmal Küchenmesser produzieren, nun aber mit erbeuteten Waffen hochgerüstet seien.

»Wir wollen ein System kollektiver Sicherheit unter Einschluss Russlands«, betont Bartsch. Dass der Bundestag zum 80. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion keine offizielle Gedenkstunde abgehalten habe, sei »geschichtsvergessen«. Man müsse die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht gut finden, um das einzusehen.

Außerdem spricht Bartsch über soziale Gerechtigkeit (»Ostdeutsche arbeiten acht Tage länger im Jahr und verdienen im Schnitt 6000 Euro weniger«) und über Finanzpolitik (»Wir wollen die Profiteure der Coronakrise mit einer einmaligen Vermögensabgabe zur Kasse bitten«).

Über Brandenburgs Ex-Finanzminister Christian Görke sagt Bartsch: »Ich wünsche mir, dass er auf finanzpolitischem Gebiet einer der Aktivposten in der Linksfraktion sein wird.« Ihm solle man in Cottbus und Spree-Neiße die Erststimme geben, der Linkspartei die Zweitstimme. »Ich weiß, im Moment sind unsere Umfragewerte nicht so gut. Aber abgerechnet wird am 26. September«, sagt Bartsch.

Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach sieht die Linke aktuell bei sechs Prozent. 2017 hatte die Partei 9,2 Prozent bekommen und würde jetzt gern ein zweistelliges Ergebnis erzielen. Für Brandenburg gibt die Landesvorsitzende Katharina Slanina das Ziel aus: »Wir wollen unser Ergebnis halten.« Doch die 17,2 Prozent von vor vier Jahren wieder zu schaffen, das wird sehr schwer. Schließlich kreuzten bei der Landtagswahl 2019 nur noch 10,7 Prozent der Wähler die Sozialisten an.

Den Lausitzer Bundestagswahlkreis 64 gewann 2017 Klaus-Peter Schulze (CDU). Diesmal könnte der Sieger Daniel Münschke (AfD) heißen. Cottbus ist eine Hochburg der AfD, obwohl die Partei sich heillos zerstritten hat. Die innerparteilichen Querelen führten dazu, dass Ende Juli der AfD-Wahlkampfauftakt auf dem Stadthallenvorplatz mit rund 120 Gästen sehr bescheiden ausfiel. Zur Linken, die in Cottbus keinen leichten Stand hat, kamen am Sonnabend allein von 15 bis 18 Uhr bereits 250 Menschen. Dabei ging es mit Konzerten, die weitere Besucher anlockten, noch bis 21 Uhr.

Nach Dietmar Bartsch betritt Gregor Weitze mit seiner Gitarre die Bühne und singt Protestlieder aus aller Welt. Er hat auch drei spanischsprachige Songs in seinem Programm, obwohl er die Sprache gar nicht beherrscht. Die chilenischen Gäste – es sind Familien, die nach dem Pinochet-Putsch in der DDR Asyl fanden und heute noch in Cottbus leben – erkennen aber: »Das ist von Victor Jara!« Der Sänger war im September 1973 in Santiago de Chile von den Putschisten ermordet worden.

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