Wiederaufbau von Megastall soll verhindert werden

Mecklenburg-Vorpommern: Nach Brandkatastrophe in Alt Tellin gibt es Proteste gegen geplante Neuerrichtung der Ferkelzuchtanlage

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

In Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern stand eine der größten Ferkelfabriken Europas. Am 30. April ist die Anlage komplett ausgebrannt, knapp 60 000 Tiere sind elendig verendet. Sie waren vor Ort. Was haben Sie dort erlebt?

Ich habe an dem Tag eine Nachricht von einer Freundin bekommen und bin dort hingefahren. Zu dem Zeitpunkt sah man schon von Weitem eine riesige Qualmwolke über der Anlage. Die Feuerwehr hatte keine Chance, den Brand zu löschen. Sie konnte nur die nebenstehende Biogasanlage schützen. Als ich ankam, habe ich als Erstes Schweine draußen gesehen und gedacht: Gut, die holen die Tiere raus. Dann erst habe ich realisiert, dass keine Muttersauen und keine Ferkel draußen waren. Die sind wahrscheinlich alle erstickt. Nur aus einem Stall konnte ein Teil der Tiere entkommen, andere sind brennend rausgerannt und zusammengebrochen. Das war ein wirklich furchtbares Erlebnis.

Kerstin Lenz
Kerstin Lenz ist ausgebildete Agraringenieurin und hat zehn Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet. Die Vorsitzende des Landesverbandes des Deutschen Tierschutzbundes in Mecklenburg-Vorpommern betreibt heute ein Tierheim und eine Tierpension. Mit nd sprach sie über die politischen Forderungen nach dem katastrophalen Brand in der Schweinezuchtanlage in Alt Tellin.

Tierschützer*innen und Umweltorganisationen haben von Beginn an auch den fehlenden Brandschutz kritisiert ...

Wir haben 2017 vor dem Verwaltungsgericht Greifswald Klage eingereicht und vorgebracht, dass die Tiere bei einem Brand nicht rechtzeitig evakuiert werden können. Das geht gar nicht, wenn man weiß, dass im Stall Muttersauen mit Ferkeln in Kastenständen eingezwängt sind. Ein Argument vor Gericht war, es bräuchte keine Evakuierungspläne, weil es eine Sprinkleranlage gebe und die Tiere damit geschützt seien. Eine Gerichtsentscheidung zu dieser Klage gegen die Betriebsgenehmigung gibt es bis heute nicht.

Nach dem Brand, dessen Ursache noch immer nicht ermittelt wurde, haben sich wieder Menschen aus der Region zusammengetan. Vorletztes Wochenende gab es Proteste vor Ort, am Dienstag zusammen mit dem Bündnis »Wir haben es satt« in Berlin. Was ist das Ziel?

Unser Ziel ist: keine Schweinemastanlage mehr in Alt Tellin. Das wäre besonders für die Anwohner wichtig. Außerdem fordern wir eine Überprüfung des Brandschutzes in allen Anlagen mit ähnlicher Bauweise bzw. deren Schließung. Denn wir mussten ja nun sehen, dass der Brandschutz nicht funktionieren kann. Grundsätzlich wünschen wir uns, dass damit das Ende der Massentierhaltung eingeläutet wird. Aber da bin ich skeptisch, wir protestieren seit Jahren, und es hat sich wenig verändert. Trotzdem, wir erreichen immer wieder Menschen, die vielleicht ihre Konsumgewohnheiten ändern, weil sie erkennen, dass industrielle Landwirtschaft auch mit ihnen zu tun hat. Hier wünschen wir uns einen Paradigmenwechsel.

Im Jahr 2021 konnten Proteste die Inbetriebnahme der Ferkelzuchtanlage in Alt Tellin 2012 nicht verhindern. Auch das Dorf war gespalten. Hat der Brand die Stimmung im Ort verändert?

Auf alle Fälle. Damals wurden den Leuten Arbeitsplätze und Einnahmen für die Gemeinde versprochen. Bekommen haben sie stattdessen jede Menge Gülle und Lkw-Lärm. Die Alt Telliner wollen jetzt gerne auf dem Gelände einen Klimawald anpflanzen, auch als Mahnmal. Aber das ist mit dem privaten Investor sicher schwierig.

Sowohl der Betreiber, die Lfd-Holding, als auch Landesagrarminister Till Backhaus bieten Ihnen Gespräche über die Zukunft von Alt Tellin an. Was halten Sie davon?

Ja, das wurde uns von Minister Backhaus gleich nach dem Brand versprochen. Nur, das ist jetzt fünf Monate her - und wir haben kein Angebot bekommen. Stattdessen ist in der Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung des Brandes wieder niemand von uns vertreten. Das Problem ist die Augenwischerei, die der Minister betreibt. Vor Bauern macht er Werbung für Investitionen in solche Megaställe, vor Umweltschützern redet er wieder ganz anders. Er muss sich klar positionieren zu einer Wende in der Landwirtschaft und den Landwirten eine Perspektive bieten, denn die sind zu dem Wandel bereit.

Offenbar gibt es aber bereits Vorstellungen, wie es in Alt Tellin weitergehen soll. Das Landwirtschaftsministerium spricht von einer »Modellanlage 4.0«.

Kein Mensch weiß, was das konkret bedeutet. Zunächst bezeichnet das nur eine Modernisierung mit neuester Technologie. Aber die Anlage in Alt Tellin war damals schon technisch auf dem neuesten Stand. Das entspricht jedoch nicht den Bedürfnissen der Schweine.

Was wären Ihre Anforderungen an einen Neubau, sollte es ihn geben?

Es müsste ein Schweinestall sein, in dem die elementarsten Bedürfnisse der Tiere erfüllt werden. Sie müssen nach draußen gehen können. Die Ferkel dürfen nicht in Kästen geboren, nicht kastriert, Zähne und Schwänze dürfen nicht abgekniffen werden. Das Futter müsste aus der Region kommen, die Gülle auf den Feldern der Holding ausgebracht werden. Das heißt im Endeffekt: weniger Tiere, die besser gehalten werden. Es geht ja nicht darum, die Landwirtschaft abzuschaffen, sondern die elende Massentierhaltung.

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