Meisterlich in der Liga des Feindes

Sheriff Tiraspol dominiert den moldawischen Fußball - und ist ein Symbol transnistrischer Selbstbehauptung

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Sheriff Tiraspol ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer Fußballklub. Vor allem, weil er in der Liga des Feindes spielt: Sheriff hat in den vergangenen 20 Jahren ganze 19 Mal die Meisterschaft in der Republik Moldau gewonnen, dazu zehnmal den nationalen Pokal. Doch die Stadt Tiraspol ist Hauptstadt der Region Transnistrien, die sich bereits 1990 von Moldau für unabhängig erklärt hat. Transnistrien wird von keinem einzigen UN-Staat anerkannt, verfügt aber über eine eigene Regierung, Währung und Armee. Es ist ein kompliziertes autonomes Gebilde, das nun eine größere Öffentlichkeit erhält: Sheriff Tiraspol spielt erstmals in der Champions League und empfängt dort an diesem Mittwoch Schachtar Donezk aus der Ukraine.

Der Konflikt auf dem moldawischen Territorium schwelt seit Generationen und eskalierte während der Perestroika. Die Mehrheit in der sowjetischen Teilrepublik Moldau wollte die russische Fremdherrschaft hinter sich lassen und orientierte sich am pro-europäischen Nachbarn im Westen, an Rumänien. Transnistrien, ein schmaler Landstreifen von 200 Kilometern Länge im Osten Moldaus, an der Grenze zur Ukraine gelegen, bekannte sich jedoch zur russischen Sprache und zur Politik in Moskau. Es folgten Kämpfe mit fast 600 Toten. Seit dem Waffenstillstand 1992 gilt der Konflikt zwischen Moldau und Transnistrien als »eingefroren«.

»Durch den Fußball möchte Transnistrien zeigen, dass es Moldau überlegen ist«, sagt Sascha Düerkop, ehemaliger Generalsekretär der Conifa, des Fußballverbandes für nicht anerkannte Staaten, Minderheiten und Regionen. »Der Aufstieg von Sheriff Tiraspol hat vor allem finanzielle Gründe.« 1993 gründeten zwei ehemalige sowjetische Sicherheitskräfte in Anlehnung an ihren früheren Beruf das Unternehmen Sheriff. Schnell bauten sie Verbindungen zur Regierungspartei auf und vergrößerten ihren Einfluss. Supermärkte, Tankstellen, Mobilfunk oder Medienhäuser: Inzwischen soll Sheriff 60 Prozent der transnistrischen Wirtschaft beeinflussen und durch seine Steuerabgaben die Hälfte des Staatsetats decken. Hartnäckig halten sich Vorwürfe, wonach Politiker wie der ehemalige transnistrische Präsident Igor Smirnow den Konzern für korrupte Geschäfte nutzen sollen.

Der FC Sheriff verleiht diesem Geflecht eine vermeintlich unpolitische Fassade. Der Verein wurde 1996 gegründet, startete in der dritten Liga und legte einen rasanten Aufstieg hin. Sheriff gewann 1999 erstmals den moldawischen Pokal, ab 2001 folgten zehn Meistertitel in Serie. Der Konzern Sheriff finanzierte dafür eins der modernsten Trainingszentren Europas und für 200 Millionen Euro eins der schönsten Stadien der Region, mit integriertem Luxushotel. Zwischen 2009 und 2018 spielte der Klub viermal in der Europa League. »Der Fußball ist für Sheriff ein Marketingprojekt, mit dem man sich nun in der Champions League noch besser verkaufen kann«, sagt Sascha Düerkop.

Die Regierung Moldaus in der Hauptstadt Chisinău hat offiziell nichts dagegen, dass ihr Land in Europa von einem Verein aus einer abtrünnigen Region im Osten repräsentiert wird. Schließlich halten sich Funktionäre und Fans des FC Sheriff bei internationalen Wettbewerben an die Regularien - und verzichten auf transnistrische Symbole, Gesänge oder Flaggen, zumindest im Innenraum des Stadions und vor laufenden Kameras. »Man kann Sheriff auch als Versöhnungsprojekt betrachten«, sagt Sascha Düerkop. »Für die Heimspiele in Tiraspol überqueren viele Fans die harte Grenze zwischen Transnistrien und Moldau, die sie sonst vielleicht nicht überqueren würden.«

Auch international bietet der Fußball dem diplomatisch isolierten Transnistrien eine gern genutzte Bühne zur Vernetzung. Auf solche Möglichkeiten hoffen auch andere Mitglieder der 2001 gegründeten »Gemeinschaft nicht-anerkannter Staaten« - etwa die autonomen Regionen Südossetien und Abchasien, die völkerrechtlich zu Georgien gehören. Den Vereinen FC Zchinwali, der Wurzeln in Südossetien hat, oder Dinamo Suchum, der aus Abchasien kommt, fehlen für europäische Wettbewerbe jedoch die finanziellen Mittel.

Das sieht bei Qarabağ schon anders aus. Der Verein stammt aus der Stadt Ağdam in Bergkarabach, einer Region im Kaukasus, um die sich Aserbaidschan und Armenien seit Jahrzehnten streiten. Qarabağ ist längst in Baku zu Hause und feiert einen Titel nach dem anderen - so unterstreicht Aserbaidschans Regierung den eigenen Anspruch auf Bergkarabach.

Jenseits des Vereinsfußballs bieten die Welt- und Europameisterschaften des Verbandes Conifa den nicht anerkannten Staaten und Volksgruppen eine regelmäßige Plattform. Mit dabei waren unter anderem schon Mannschaften aus Tibet, Kurdistan Nordzypern oder Somaliland. Sponsoren, Hymnen oder politische Interessenskonflikte: Stets war Sascha Düerkop als Generalsekretär um Kompromisse und pragmatische Lösungen bemüht. Manchmal mit unabsehbaren Folgen: 2018 gewann ein Team der ungarischen Minderheit aus der Ukraine die WM der Conifa. Die Regierung in Kiew sah darin »sportlichen Separatismus« und erteilte den ukrainischen Spielern ein lebenslanges Verbot für den heimischen Spielbetrieb.

Transnistrien hat bislang kein eigenes Nationalteam zu Turnieren der Conifa entsandt, wohl auch, weil es den moldawischen Verband und die Uefa nicht verärgern will. »Es gibt keinen großen transnistrischen Nationalismus und auch keine ethnischen Konflikte«, sagt Sascha Düerkop. Die rund 500 000 Einwohner setzen sich zu jeweils einem Drittel aus Moldauern, Russen und Ukrainern zusammen, die Region ist dreisprachig. Etliche Profis aus Transnistrien haben es in die Nationalmannschaft Moldaus geschafft, die sich aber noch nie für ein großes Turnier qualifizieren konnte. Sheriff Tiraspol hingegen hat die Champions League mit Spielern aus zehn Nationen erreicht. Profis aus Transnistrien spielen eine untergeordnete Rolle - und trotzdem ist der Klub ein Symbol ihrer Selbstbehauptung.

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