Beamte rüsten auf

Teilnehmer des Europäischen Polizeikongresses beklagen eine angeblich stärkere Bedrohung von Polizisten

  • Jessica Ramczik
  • Lesedauer: 4 Min.

»In Europa stehen viele Krisen im Mittelpunkt von Politik und Gesellschaft, aktuell die Herausforderungen durch Corona. Es stellen sich bislang nicht bekannte und geübte rechtliche, ethische und sicherheitsrelevante Fragen«, heißt es auf der Website, die den zweitägigen Europäischen Polizeikongress in Berlin ankündigte. Was klingt wie eine kritische Auseinandersetzung mit paneuropäischer Polizeiarbeit oder zumindest wie eine wegweisende Zusammenkunft von Entscheidungsträgern der Exekutive, war in Wirklichkeit eine Messe für Sicherheits- und Rüstungstechnik. Hier trafen aufrüstungswillige Innenministerien auf Anbieter von Kommunikations- und Waffentechnik.

Polizeiarbeit scheint, zumindest wenn es nach den dort anwesenden Firmen geht, im 21. Jahrhundert angekommen zu sein. Ein Großteil der Aussteller sind Techfirmen. Es ging um Netz- und Kommunikationssicherung, die Nutzung von Künstlicher Intelligenz, Technologietrends und die Einbindung mobiler Workflows in den Polizeialltag.

Dass es den Organisatoren nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit moderner Polizeiarbeit gehen soll, wurde auch mit Blick auf diejenigen deutlich, die draußen bleiben mussten. So richtete sich das Programm der Veranstaltung, die am Mittwoch zu Ende ging, vorwiegend an Abgeordnete, Mitglieder von Sicherheitsbehörden und Industrie. Journalist*innen und kritische Nichtregierungsorganisationen fehlten gänzlich. Kritische Medien wie beispielsweise Netzpolitik.org konnten sich nun bereits zum sechsten Mal nicht für den Kongress akkreditieren. Dies wurde mit aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen begründet.

Ein Panel hatte den Titel »Gewalt gegen die Polizei«. Dabei ging es wenig um Gewaltdynamiken oder die Frage, wie Polizeiarbeit ohne den Einsatz von Waffen deeskalierend wirken könnte. Zwar war sich das Podium einig, dass Gewaltprävention in Form von Kommunikation eine wichtige Rolle spielen müsse, aber die Anwesenden zeichneten auch das Bild einer Polizei, die ständiges Ziel von Angriffen sei. Dagegen müsse man sich mit technischen Gerätschaften zur Wehr setzen, so der Tenor. Auch wurde diskutiert, ob defensive Maßnahmen in Form von Elektroschockpistolen, also Tasern, erforderlich sind, also in einem juristischen Sinne das mildeste noch wirksame Mittel darstellen. Jörg Kubiessa, Polizeipräsident von Dresden, sagte dazu: »Der Einsatz von Tasern ist ein Mittel, wenn alles andere vorher juristisch korrekt ausgeschöpft wurde.« Wie dies in unübersichtlichen Gemengelagen noch korrekt eingeschätzt werden kann, dazu sagte er nichts.

Polizei setzt auf Taser

Neben den Polizeipräsident*innen von Berlin und Dresden sowie dem Präsidenten der European Police Union saß auch der geschäftsführende Direktor des Taser-Herstellers Axon, Christian Scherf, auf dem Podium. »Unsere Taser bieten ein hohes Deeskalationspotenzial und deeskalieren in 82 Prozent der Fälle«, heißt es auf der Internetseite des Herstellers. Axon wirbt damit, dass die Taser die gefährdeten Beamt*innen schützen könnten. In diesem Zusammenhang wird die steigende Gewalt- und Kriminalitätsrate angeführt. In Hessen und Nordrhein-Westfalen sind Taser testweise im Einsatz. Hier wird vor allem die präventive Wirkung in den Vordergrund gestellt. »In 110 Fällen der Androhung des Tasereinsatzes in Nordrhein-Westfalen haben 92 zur Deeskalation der Situation geführt.« Andere Bundesländer wollen mit Testphasen nachziehen. Dass es in Deutschland bei einem Taser-Einsatz in Frankfurt am Main bereits zu einem Todesfall kam, wurde auf dem Podium verschwiegen. In den USA, wo Taser polizeilicher Standard sind, gab es mehr als tausend Todesfälle nach Einsätzen mit dieser Waffe. In mehr als jedem siebten Fall war der Elektroschock die Todesursache oder hat den späteren Tod herbeigeführt.

Grundlage für die Annahme der steigenden Gewalt gegen Beamte liefert die polizeiliche Kriminalstatistik. In der Vergangenheit war immer wieder vom 2018 neu geschaffenen § 114 StGB die Rede. In der polizeilichen Kriminalstatistik 2019 machte dieser Straftatbestand fast 40 Prozent der Fälle von Gewalt gegen Beamtinnen aus. Die Statistik stieg mit dem neuen Paragrafen sprunghaft an. § 114 StGB umfasst jede in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper des anderen zielende Einwirkung ohne Rücksicht auf ihren Erfolg. Das heißt: Gewalt gegen die Polizei ist auch dann anzunehmen, wenn gar nicht beabsichtigt wurde, dass Beamt*innen zu Schaden kommen. Zu einer körperlichen Verletzung muss es nicht kommen.

Kubiessa mahnte auf dem Podium an, dass die rechtsstaatliche Verfolgung der Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte wichtig sei. Er sah die Polizei in der Pflicht, das Material zu liefern, damit die Täter*innen auch verurteilt werden können. »Ein Strafverfahren, das auf Bewährung ausgesetzt wurde, bewirkt aber nicht den gewünschten Grad von Sühne, den man sich als Polizist wünscht«, so Kubiessa. Was er verschwieg: Die Aufklärungsquote von Gewalt gegen Beamt*innen lag im Jahr 2019 bei 98 Prozent.

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