Geld weg, Vertrauen verloren

Viele europäische Wanderarbeiter*innen in Deutschland werden von ihren Arbeitgebern am Bau, in Pflege und Gastronomie um ihre Rechte gebracht

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 6 Min.

Rund 890 000 Menschen arbeiten in der Baubranche. Sie sollen bald mehr Lohn erhalten, fordert die Industriegewerkschaft BAU - und droht mit Streik. Die Gewerkschaft verlangt unter anderem 5,3 Prozent mehr Lohn und eine Angleichung der Gehälter in Ost und West. »Nach insgesamt vier Verhandlungsrunden haben die Arbeitgeber am 22. September die letzte Chance, sich mit uns auf einen neuen Tarifvertrag am Verhandlungstisch zu einigen, sonst wird es mehr als ungemütlich«, sagte am Freitag IG-BAU-Bundesvorsitzender Robert Feiger. Wenn auch die anschließende Schlichtung scheitere, »kommt der Arbeitskampf«.

Schon heute steht fest: Viele Arbeiter auf dem Bau werden nichts von dem Tarifabschluss haben. Denn etliche Baubeschäftigte arbeiten ohnehin ohne gültigen Arbeitsvertrag, bekommen nur einen Teil ihres Lohns regulär ausgezahlt oder gelten als Selbstständige. Andere arbeiten bei Subunternehmen, die nur für ein einziges Bauprojekt gegründet werden, keinen richtigen Firmensitz haben - und Insolvenz anmelden oder verschwinden, bevor sie die Löhne für ihre Beschäftigten auszahlen.

Insolvente Subunternehmen

Oft sind es Wanderarbeiter*innen aus Osteuropa, die so über den Tisch gezogen werden. Teils fehlen ihnen die Sprachkenntnisse, teils steht in den deutschen Verträgen etwas anderes als in den Papieren, die sie in ihrer Landessprache ausgehändigt bekommen. Einige kennen ihre Rechte nicht gut genug, andere kennen sie, sind auf die Jobs aber angewiesen.

Ein besonders prominenter Betrugsfall waren die rumänischen Arbeiter auf der Baustelle der Mall of Berlin im Jahr 2014. Sie wurden bei der Fertigstellung des gigantischen Einkaufszentrums am Potsdamer Platz um ihren Lohn geprellt. Dazu ist nun ein Buch erschienen. Die Herausgeber*innen von »Mall of Shame - Kampf um Würde um Lohn«, Hendrik Lackus und Olga Schell, haben als Mitglieder der Basisgewerkschaft FAU die Arbeiter bei ihrem Protest und ihren darauffolgenden Gerichtsprozessen begleitet.

Die Mall of Berlin ist ein Projekt der HGHI Leipziger Platz GmbH und Co. KG, hinter der der Investor Harald Huth steht. Hunderte Menschen waren auf der Baustelle am Potsdamer Platz beschäftigt, die das Bauunternehmen Fettchenhauer beaufsichtigte. Nach einigen Monaten bekamen einige von ihnen - darunter viele Männer aus Rumänien - plötzlich keinen Lohn mehr. Sie protestierten, zunächst alleine, dann mit Unterstützung der FAU. Sieben zogen schließlich vor Gericht. Doch ihr Geld erhielten sie nie: Ein Subunternehmen, bei dem sie beschäftigt waren, ging pleite. Die Chefs des anderen waren nicht mehr auffindbar. Auch der Generalunternehmer Fettchenhauer meldete Insolvenz an. Und so klagten zwei der Arbeiter schließlich gegen den Investor. Das Bundesarbeitsgericht wies im Oktober 2019 ihre Klage ab. Die Begründung ist etwas kompliziert: Ein Generalunternehmer könne für ausbleibende Löhne von Subunternehmen haftbar gemacht werden, ein Investor nicht. Denn der Investor sei in der Regel »branchenfremd«, müsse also nicht einschätzen können, ob die Subunternehmen ihre Arbeit tatsächlich ordentlich machen können. Dafür sei der Generalunternehmer zuständig. Dass Huth eine Shoppingmall nach der anderen bauen lässt und damit eine gewisse Erfahrung haben sollte, tat für die Richter nichts zur Sache.

Lackus und Schell fahren im Frühjahr vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts nach England. Dort treffen sie Elvis Iancu und Bogdan Droma, die 2014 die Proteste gegen die Firma von Harald Huth angeführt hatten. Außerdem sprechen sie mit Gioni Droma, Bogdans Bruder, und Cubylyass Dumitru, ihrem Cousin.

Elvis Iancu lebt zum Zeitpunkt des Interviews in Coventry und arbeitet bei Amazon. Er legt Geld zurück, wie er Lackus und Schell erzählt, in ein paar Jahren will er zurück nach Rumänien zu seiner Familie gehen und sich dort selbstständig machen.

Bogdan will studieren und später eine eigene Firma gründen

Bogdan und Giona Droma leben - wie auch ihr Cousin Cubylyass »Billy« Dumitru - zur Zeit des Interviews in der englischen Industriestadt Luton. Sie hatten seit ihrem Umzug nach England wechselnde Jobs. Bogdan will BWL studieren, um später mal ein eigenes Unternehmen gründen zu können.

Auf ihre Zeit in Deutschland schauen sie ganz unterschiedlich zurück. Für Iancu war es eine »verlorene Zeit«, heißt es im Buch, er denkt kaum noch darüber nach. Bogdan Droma ärgert sich noch heute, dass er auf der Mall gearbeitet hat, aber auch, dass er nach Deutschland gegangen ist, ohne sich vorher richtig zu informieren. Beim Protest sei es ihm nicht nur darum gegangen, den ausstehenden Lohn zu bekommen: »Ich habe für meine Identität gekämpft!«, heißt es im Interview. Und er ergänzt: »Die Rechte von Arbeitern sind sehr wichtig!« Billy Dumitru zeigt vor allem Enttäuschung über Deutschland, weshalb er dort auch nicht bleiben wollte: »Ich hätte wohl Arbeit gefunden, aber ich war nicht sicher, ob ich Geld bekommen würde.«

Verbesserungen vor allem auf dem Papier

Die Interviews mit den geprellten Arbeitern sind detailreich und persönlich. Man merkt ihnen die langjährige Verbindung der Herausgeber*innen mit ihren Gesprächspartnern an. Gleichzeitig stehen sie für die Geschichten der vielen Wanderarbeiter*innen, die in Deutschland auf dem Bau, in der Fleischindustrie oder in der Pflege unter prekären Bedingungen arbeiten.

Für das Buch interviewt wurden auch zwei weiteren FAU-Unterstützer*innen der Arbeiter, die erzählen, wie sie die Gruppe kennengelernt haben und welche Herausforderung der Kampf für die eher kleine Gewerkschaft bedeutete. Überdies reflektieren zwei Sprachmittler*innen, darunter Hendrik Lackus selbst, über ihre Rolle zwischen Dolmetscher*innen und Sprecher*innen.

Mehr Rechte, große Schlumpflöcher

Mehrere Beiträge widmen sich dem Zusammenhang von Migration, Asyl und Arbeit(-srecht). Sie zeichnen unter anderem die Entwicklung hin zu mehr Rechten für prekäre Wanderarbeiter*innen nach. So wurde 1997 das Arbeitnehmerentsendegesetz verabschiedet, nach dem ausländische Bauarbeiter einen Anspruch auf den deutschen Mindestlohn haben. Das bedeutet - zumindest laut Gesetz - mehr Geld für ausländische Beschäftigte. In den Jahren 2004 und 2007 wurden osteuropäische Staaten Mitglieder der EU. Doch die Arbeitnehmerfreizügigkeit, also das Recht, sich innerhalb der EU den Arbeitsplatz frei zu wählen, gewährte Deutschland erst 2011 und 2014. Danach kamen mehr Arbeitsmigrant*innen nach Deutschland: Die Leute versuchen, der Armut in ihren Ländern zu entfliehen, für sie sind auch deutsche Mindestlöhne noch mehr als das, was sie beispielsweise in Rumänien verdienen können. Das kommt deutschen Unternehmen zupass, sie rekrutieren Arbeitskräfte, für die sie wenig Geld zahlen müssen.

Nachdem die IG BAU anfangs noch Stimmung gegen ausländische Beschäftigte gemacht hatte, gründete sie 2004 den Europäischen Verband für Wanderarbeiterfragen. Auch heute noch unterstützt der Verein zusammen mit der DGB-Beratungsstelle Faire Mobilität Arbeitsmigrant*innen bei Schwierigkeiten im Job.

Dennoch: Die Schlupflöcher sind groß, die Kontrollen auf Baustellen und in anderen Bereichen, wo viele Arbeitsmigrant*innen arbeiten - Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie - unzureichend.

Anhand von Daten der Berliner Soka Bau, der Sozialkasse der Bauwirtschaft, die »nd« 2019 einsehen konnte, lässt sich erkennen, dass rund ein Viertel der Arbeiter auf Baustellen als Teilzeitkräfte gemeldet sind. Aber sowohl die Soka als auch die Gewerkschaft IG BAU sind sich einig, dass in dieser Branche kaum jemand tatsächlich in Teilzeit arbeitet. Der Verdacht: Mit der Teilzeitmeldung werden Sozialkassenbeiträge hinterzogen. Knapp zwei Jahre später zeigen aktualisierte Daten: Daran hat sich praktisch nichts geändert.

Hendrik Lackus & Olga Schell (Hg.): Mall of Shame - Kampf um Würde und Lohn. Die Buchmacherei, 200 Seiten, 12 Euro.

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