Windjahr in Reichweite

Der Ausbau der Windkraft schreitet voran, aber nicht im Klima-Tempo

Die Zukunft der Erneuerbaren liegt im Nebel.
Die Zukunft der Erneuerbaren liegt im Nebel.

Wer erinnert sich noch ans Windjahr 2017? Damals mussten sich neue Windkraftprojekte an Land erstmals in Ausschreibungen um die EEG-Vergütung, die Förderung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, bewerben. Dank des Wettbewerbs sollten die Kosten sinken, meinte die damalige Koalition von Union und SPD.

Tatsächlich aber wurde der Windkraft-Ausbau auf Jahre abgewürgt. Das Jahr 2017 selbst verzeichnete allerdings noch einen Ausbaurekord von rund 5500 Megawatt. Grund waren die drohenden Ausschreibungen. Viele Projekte waren zuvor noch schnell auf den Weg gebracht worden, um den wegfallenden festen Einspeisetarif zu nutzen.

Jährliche Ausbauzahlen von 5000 und mehr Megawatt wurden bei Windkraft an Land seitdem nicht mehr erreicht. Was die Branche damals forderte, klingt übrigens sehr zeitgemäß: schnellere Genehmigungen und mehr Sektorkopplung, beispielsweise durch direkte Marktbeziehungen von Erneuerbaren mit Gewerbe und Industrie.

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Bei der Sektorkopplung ist seitdem nicht viel passiert. Insbesondere die Ampel-Regierung hat aber einiges für die schnellere Entwicklung der Windkraft getan. Das trägt inzwischen Früchte. So ist das erste Halbjahr 2025 mit einem Zuwachs von 2200 Megawatt das bisher beste Halbjahr seit 2017 geworden, teilten die Branchenverbände Bundesverband Windenergie e.V. (BWE) und VDMA am Dienstag mit. Im ganzen Jahr 2025 könnten 4800 bis 5300 Megawatt neu installiert werden – nach acht Jahren kommt die 5000er-Grenze wieder in Reichweite.

Auch der Ausblick lässt sich noch gut an: In diesem Jahr wurden weitere 7800 Megawatt genehmigt, so viel wie noch nie in einem ersten Halbjahr, wie die Branche betont. Auch sank die Genehmigungsdauer im Schnitt auf 18 Monate, ein Fünftel weniger als im Vorjahr. Das Tempo reicht aber insgesamt noch immer nicht aus, um den deutschen Klimazielen zu entsprechen. 2030 sollen laut dem geltenden Erneuerbare-Energie-Gesetz 115 000 Megawatt Windenergie an Land installiert sein. Zurzeit sind es 65 300 Megawatt.

BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek konstatierte am Dienstag eine »Lücke« zwischen dem tatsächlichen Ausbau und den im EEG formulierten Zielen. Um das Klimaneutralitätsziel 2045 zu erreichen, müssten jährlich knapp 10 000 Megawatt an Land hinzukommen, betonte sie. Diese Zielmarke erscheint inzwischen ziemlich illusorisch, vor allem, weil die schwarz-rote Regierung offensichtlich einen Kurswechsel bei den Erneuerbaren einleiten will. So schaut die Branche mit Skepsis auf den für Ende August angekündigten »Realitätscheck« von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU).

»Sind wir bei den Strombedarfen nicht realistisch, gefährden wir den Wirtschaftsstandort Deutschland.«

Bärbel Heidebroek 
Bundesverband Windenergie e.V.

Wie schon 2017 verwies die Branche am Dienstag auf die guten Wirkungen der Sektorkopplung auf den Strombedarf. Die Industrie wolle sich transformieren und die Stahlindustrie sage selbst, sie benötige für ihre Elektrifizierung künftig mehr Strom, sagte die BWE-Chefin. Auch Rechenzentren und KI brauchten Grünstrom. »Sind wir bei den Strombedarfen nicht realistisch, gefährden wir den Wirtschaftsstandort Deutschland«, so Heidebroek weiter. Deswegen müsse beim Erneuerbaren-Ausbau weiter Tempo aufgenommen werden.

Inzwischen sollen auch Konflikte innerhalb der Erneuerbaren-Branche für Verunsicherung sorgen. So warten die Photovoltaik- wie auch die Biomassebranche auf die teilweise seit mehr als einem Jahr ausstehende beihilferechtliche Genehmigung der EU für das Solarpaket 1 sowie das Biomassepaket. Diese will die EU-Kommission nur erteilen, wenn Deutschland endlich den vorgeschriebenen Rückzahlungsmechanismus (»Claw-Back«) für die EEG-Vergütung einführt. Dagegen soll sich, wie zu hören ist, die Windbranche lange Zeit gewehrt haben, was bei den anderen Erneuerbaren-Branchen für steigenden Unmut sorgte.

Heidebroek trat bezüglich des Rückzahlungsmechanismus am Dienstag auf die Bremse. Zwar sei die Einführung des »Claw-Back« gesetzlich entschieden, dies müsse aber sinnvoll und mit Augenmaß geschehen und nicht übereilt, sagte die BWE-Präsidentin. Die Branche dürfe nicht zu stark eingeschränkt werden. Heidebroek kann sich einen entsprechenden Abschöpfungsmechanismus vorstellen, warnte aber davor, die EEG-Vergütung grundsätzlich umzustellen oder gar infrage zu stellen.

Dennis Rendschmidt vom Energieanlagenbauer-Verband VDMA Power Systems befürchtet angesichts des kommenden Rückzahlungsmechanismus, dass die Branche in einen »Attentismus« fällt, also in eine abwartende Haltung. Deshalb dürfe es, sagte er am Dienstag, bei den gesetzlichen Anpassungen keine 180-Grad-Wende geben, sonst drohe auch beim Ausbau ein Fadenriss. Das wäre dann auch so etwas wie eine Wiederholung von 2017.

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