Grüne gehen auf Distanz

Österreichs Regierungskoalition könnte am Ende sein

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Er werde sich mit allen demokratischen und juristischen Mitteln wehren, sagt Sebastian Kurz. Die regierende ÖVP steht hinter dem Kanzler, geschlossen, wie es heißt. Zumindest die ÖVP-Vertreter auf der Regierungsbank und einige Landeshauptleute beteuern das wie ein Mantra. Eines aber ist dahin mit der neuen Affäre um geschönte Umfragen sowie Abmachungen mit Medienhäusern für Hofberichterstattung: Der Glanz.

Nach den Razzien in Bundeskanzleramt, Finanzministerium und ÖVP-Zentrale steckt Österreich in einer Krise: Die Opposition wertet die seit Jahren anhaltenden Angriffe der ÖVP auf die Staatsanwaltschaft als gefährliche Grenzüberschreitungen - während Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) in einer Erklärung vom Freitag die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr sieht. Kurz, so Edtstadler, werde einem Tribunal ausgesetzt. Dazwischen stehen die Grünen. Und die gehen mittlerweile demonstrativ auf Distanz zur ÖVP. Sie sehen die Amtsfähigkeit des Kanzlers nicht mehr gegeben und begannen am Freitag Gespräche mit allen anderen Parlamentsfraktionen. Und Grünen-Clubchefin Sigrid Maurer richtete der ÖVP aus: »Die ÖVP ist aufgerufen, eine untadelige Person zu finden, die dieses Amt ausführen kann.« Das klingt nach einem Aus der türkis-grünen Koalition in Wien.

Am kommenden Dienstag findet im Nationalrat eine Sondersitzung statt. Dabei wird es auch einen Misstrauensantrag gegen Kurz geben. Die Opposition ist sich einig, für eine Mehrheit bräuchte es aber sechs Stimmen der Grünen. »Neu regieren« hatte sich die ÖVP mit Kurz auf die Fahnen geheftet. Als Bewegung sah man sich plötzlich. Und noch im August war Kurz auf dem Parteitag der ÖVP mit 99,4 Prozent als Parteichef bestätigt worden. Mit Kurz auf Wahlplakaten lassen sich Wahlen gewinnen - das gilt für Dorf-Bürgermeister genauso wie für Landeshauptleute, Gemeinderäte oder Nationalratsabgeordnete.

Dabei ist das, was Sebastian Kurz dieser Tage einholt, nur im Detail neu. Dass er und sein Umfeld Informationspolitik auf die Spitze trieben, die entsprechenden Budgetposten und Pressestellen massiv aufstockten, war kein Geheimnis. Nicht neu ist auch die Praxis, über Regierungsinserate Millionen an Medienhäuser zu leiten. Auch den fahlen Beigeschmack, dass diese Medienförderung durch die Hintertür vor allem unkritischen Boulevardblättern zugute kommt, kennt man. Neu ist allerdings die möglicherweise kriminelle Dimension dieser Praktiken.

Laut Staatsanwaltschaft wird Kurz nebst anderen verdächtigt, Absprachen mit der Zeitung »Österreich« getroffen zu haben. Demnach geht es laut Hausdurchsuchungsbefehl um »mehrere Inseraten- und Medienkooperationsvereinbarungen« ab April 2016 bis zu einem »noch festzustellenden Zeitpunkt«, also: freundliche Berichterstattung gegen Regierungsanzeigen. Zudem seien Umfragen in Auftrag gegeben und zugunsten Kurz’ geschönt worden, heißt es. Umfragen, die laut Quellen in der ÖVP von Kurz und dessen Leuten seit 2016 als Argumentationsbasis für die Machtübernahme in der ÖVP benutzt wurden - und damit zum Fundament für dessen Kanzlerkandidatur und damit letztlich Kanzlerschaft wurden. Bezahlt worden seien diese Umfragen wiederum aus Mitteln des Finanzressorts, abgerechnet als ministeriumsrelevante Studien.

Helmut Brandstätter, einst Chefredakteur der Tageszeitung »Kurier«, heute Abgeordneter der liberalen Partei Neos im Nationalrat, ist nicht überrascht über die Vorwürfe. Überrascht, so sagt er, sei er nur, »dass sie es so dumm gemacht haben«. 2018 wurde Brandstätter als Chefredakteur des »Kurier« abgelöst. Zuvor sei ihm von Kurz praktisch direkt »angeordnet worden, eine Parteizeitung zu machen«. Und als er das verweigert habe, habe Kurz ihn dann einmal gefragt: »Wieso magst du mich nicht?« Werbung ist alles - das haben Kurz und seine Leute von Anfang an verstanden. Die Kommunikation wurde gebündelt. An alle ÖVP-Vertreter gehen sorgsam formulierte Textbausteine. Alleine Kurz’ unmittelbares Medienteam soll 80 Personen umfassen. Ende 2020 etwa verschrieb sich die Regierung selbst ein Budget von 210 Millionen Euro für vier Jahre alleine für Werbezwecke. Im ersten Quartal 2021 verdreifachten sich die Ausgaben für Anzeigen im Vergleichszeitraum zum Vorjahr, also neun Millionen Euro binnen drei Monaten.

»Alle haben immer akzeptiert, dass es Journalisten gibt, die lästig sind«, sagt Brandstätter. Am 19. Juni 2017 habe Kurz aber folgendes zu ihm gesagt: »Ich erwarte, dass du mich im Wahlkampf unterstützt.« Und: »Du kannst nur mein Freund oder mein Feind sein.« Regierungsinserate, Druck auf Journalisten und Redaktionen sowie aufgeblasene Pressestellen nennt Brandstätter die Säulen der Kurz-Herrschaft. »Wir sind schon in Hegyeshalom«, sagt er in Anspielung auf Ungarns Medienpolitik. »Und bald sind wir in Györ.« Die Stadt Györ liegt auf halbem Weg zwischen Wien und Budapest.

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