Schwierige Suche nach »Stabilität«

Debatten um Opel und Haushalt: Der Kampf zwischen Rot-Rot-Grün und der Opposition in Thüringen wird härter

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Ausgerechnet jener Mann, der als Hauptprotagonist des Thüringen-Skandals nach der Landtagswahl 2019 in die Geschichtsbücher einging, sorgte am Mittwochnachmittag im Erfurter Parlament einmal mehr für Ärger: Um kurz nach 15 Uhr trat Thomas Kemmerich ans Rednerpult, um über Opel zu sprechen. Dem Autobauer droht die Zerschlagung; vor etwa eineinhalb Wochen waren Pläne des Mutterkonzerns Stellantis bekanntgeworden, die beiden Produktionswerke Rüsselsheim und Eisenach aus der deutschen Einheit Opel Automobile GmbH herauszulösen. Zudem soll wegen des Halbleitermangels das Werk Eisenach für drei Monate geschlossen werden. Kemmerichs FDP, die seit dem Austritt einer Abgeordneten nicht mehr als Fraktion, sondern nur noch als Gruppe firmiert, hatte daher eine Aktuelle Stunde beantragt.

Der Gruppenchef der Liberalen, der einst als Kurzzeit-Ministerpräsident mit Hilfe von AfD-Stimmen zweifelhaften Ruhm erlangte, bezeichnete die aktuelle Entwicklung rund um Opel als den »Niedergang einer Traditionsmarke«. Zugleich erklärte er, man solle dem drohenden Aus des Automobilwerks nicht allzu lange hinterhertrauern, sondern sich auf die Qualifikation der Beschäftigten und die Ansiedlung neuer Unternehmen konzentrieren. Eine Rede, die das Minderheiten-Bündnis aus Linken, Grünen und SPD sichtlich verstimmte: Ein »Skandal« seien die Ausführungen Kemmerichs gewesen, meinte der Linken-Abgeordnete Sascha Bilay und verglich das Szenario einer Schließung des Eisenacher Werks »mit dem Kahlschlag der Treuhand im Osten vor 30 Jahren«. Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee rügte Kemmerich: Er wünsche sich, dieser würde »ein paar Sätze« herausstreichen. Der SPD-Politiker sagte, angesichts der Brisanz des Themas sei der Landtag zu einer klaren Botschaft verpflichtet, die da laute, dass man »an der Seite der Beschäftigten« stehe.

Nun wäre die vierköpfige FDP-Gruppe aus Sicht der Minderheitsregierung eine vernachlässigbare Größe - wenn denn der sogenannte Stabilitätsmechanismus zwischen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung und der oppositionellen CDU weiter fortbestehen würde. Auf einen solchen hatten sich die vier Parteien nach dem Rücktritt Kemmerichs geeinigt, um Arbeitsfähigkeit im Freistaat sicherzustellen. Nach der gescheiterten Neuwahl sowie dem schlechten CDU-Bundestagswahlergebnis steht die Thüringer Konstellation jedoch vor ganz neuen Herausforderungen. Die Christdemokraten sind aktuell vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu finden. Am vergangenen Wochenende erklärte CDU-Fraktionschef Mario Voigt auf dem Landesparteitag in Suhl, es werde keinen weiteren Stabilitätspakt geben. Äußerungen, die angesichts des zu verabschiedenden Haushalts für das kommende Jahr für Unruhe sorgen.

Dahingehend ließ sich auch die kleine Witzelei von Finanzministerin Heike Taubert zu Beginn der Haushaltsdebatte am Freitagmorgen interpretieren: »Zumindest die Sonne steht auf Seiten der Finanzministerin«, scherzte die von eingedrungenen Sonnenstrahlen erleuchtete SPD-Politikerin - wohl wissend, dass noch völlig unklar ist, auf wessen Seite die CDU am Ende stehen wird. Zusätzliches Problem: Die Corona-Pandemie hat die Kassen geleert. »Wir haben nahezu alle verfügbaren Ersparnisse aufgezehrt«, sagte Taubert und sprach sich für eine solide Finanzpolitik aus: »Niemandem ist gedient, wenn wir Seifenblasen für die Galerie etatisieren, von denen man aus Erfahrung schon sagen kann, dass sie zerplatzen.«

Zur interfraktionellen Versöhnung trugen die Worte der Finanzministerin nicht bei - das war bei dieser Ersten Beratung des Haushaltsentwurfs jedoch auch nicht zu erwarten gewesen. Vielmehr entwickelte sich im Erfurter Landtag ein Kräftemessen. »Wir gönnen Ihnen, dass Sie heute in der Sonne stehen«, erwiderte ein über Tauberts Humor sichtlich amüsierter Mario Voigt und bemerkte, dass die Haushaltsverhandlungen für die Ministerin »nicht sonderlich sonnenreich« gewesen seien. Voigt schaltete in den Angriffsmodus, bezeichnete den Entwurf als »ambitionsloses Weiterwurschteln« und warf der Landesregierung vor, diese sei - obgleich auf deren Stimmen angewiesen - bei der Finanzaufstellung zu wenig auf die CDU eingegangen. In seiner derzeitigen Fassung sei der Haushalt für die Christdemokraten jedenfalls »nicht zustimmungsfähig«.

Man merkt: Die Auseinandersetzungen zwischen Rot-Rot-Grün und der Opposition sind härter geworden, als sie ohnehin schon gewesen waren - der Appell von Linksfraktionschef Steffen Dittes, Voigt solle sich seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein, verhallte zunächst. Vier zusätzliche Stimmen benötigt die Minderheitsregierung - egal, ob von CDU oder FDP. Die Debatten in dieser Woche zeigten jedoch, dass zu beiden Parteien tiefe Gräben bestehen. Immerhin: Der Haushalt kann nach derzeitigem Stand frühestens im Februar 2022 beschlossen werden. Bis dahin bleibt noch Zeit, die Gräben zuzuschütten, wenngleich die Verhandlungen schwierig werden dürften.

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