Leicht-Gewicht

Zum Tod von Luciano Pavarotti

  • Laura Naumburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Töne eines Sängers sollen klingen, als wären sie ein leicht dahinfließender Strom von Melodie, ein Spiel mit schwingender Luft. Nicht so bei italienischen Tenören. Bei ihnen soll man hören, dass es eine Anstrengung bedeutet, die strahlenden Höhen und langen Töne hervorzubringen. Aber genauso muss die Stimme verkünden: Es gibt nichts auf der Welt, für das ich mich lieber anstrenge als für euch da unten, mein Publikum, und übrigens, ich schaffe mit Leichtigkeit jede Höhe und allen Glanz. Und ich singe euch jubelnd und kunstvoll schluchzend in alle Gefühle, die ihr wollt. »Italienischer Tenor«, das ist ein Zauberwort wie »Marathonläufer« oder »Boxweltmeister«. Einen hat es gegeben, der den schillernden Begriff aus Volkstümlichkeit, geheimer Kunst und übermenschlicher Leistung erfüllte, Enrico Caruso. Nun gibt es endgültig einen zweiten, ebenbürtigen, Luciano Pavarotti. Gestern früh starb er 71-jährig in seiner Geburtsstadt Modena an Krebs. Pavarotti war der Sohn eines Bäckers und einer Tabakarbeiterin und wuchs in einem großen Familienclan auf. Er begann, Pädagogik zu studieren, bis er von seinem chorsingenden Vater darauf gebracht wurde, die Stimme auszubilden. Im Opernhaus von Reggio Emilia gab er nach einem gewonnenen Wettbewerb 1961 sein Debüt als Rodolfo in Puccinis »La Bohème«. Schon ein Jahr später begann er seine glanzvolle internationale Karriere mit einer Belcanto-Partie in Amsterdam. Er sang dort den Edgardo in Donizettis »Lucia di Lammermoor«. Eine große Tournee durch Spanien, Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei festigte seine Bühnensicherheit. 1964 kam der für jeden Sänger so wichtige Glücksfall: Ein Großer seines Fachs erkrankt und der junge Kollege kann in einer populären Partie an einem großen Haus einspringen. Bei Pavarotti hieß die Konstellation Giuseppe di Stefano, Rodolfo, London Covent Garden. Dann folgten die Sterne im Sänger-Bae-deker einer nach dem anderen: Wien, nochmals London, die New Yorker Met, die Scala, die Festivals in Glydeburne, in Verona. 115 Vorhänge bekam er 1988 für seinen Nemorino in Donizettis »Liebestrank« an der Deutschen Oper in Berlin. Mehr schien nicht zu gehen. Ein Irrtum. 1990 erfand er gemeinsam mit den großen Kollegen Placido Domingo und José Carreras das Markenzeichen »Die drei Tenöre«. Ihr Auftritt zur Fußball-WM in Italien ging als mediales Ereignis durch die Welt. Immer mehr spektakuläre Auftritte vor Tausenden von Menschen, unglaubliche Abendgagen, gehäufte Absagen - sein Körpergewicht schuf ihm zunehmend Probleme - begannen irgendwann an seiner Popularität bei den Opernliebhabern zu nagen. Mit Ausflügen in die Popmusik versuchte er, die Scharte anderenorts auszuwetzen. Saß man für viel Geld irgendwo in einer Riesenarena und hörte die Stimme des späten Pavarotti, elektronisch verstärkt, mochte man sich fragen, woher der Ruhm des »Big P« wohl käme. Zu Hause dann, am CD-Spieler mit einer seiner frühen Aufnahmen beschäftigt, erlosch jeder Zweifel. Souveräner ist vokale Überwältigung kaum vorstellbar. Der Riccardo in Verdis »Maskenball«, 1971 für die EMI aufgenommen, strahlt nicht allein sängerische Brillanz und Überlegenheit aus, sondern auch alle widersprüchlichen Facetten der von Verdi erdachten Bühnenfigur. Unbekümmerte Überlegenheit, emotionale Selbstbeherrschung, politische Desillusionierung in ein und derselben Person, vermittelt allein durch die Farben einer einzigartigen Stimme. Pavarotti schuf sich seinen sängerischen Weltruhm durchaus nicht in der Schwergewichtsklasse italienischer Tenorpartien. Verdis »Otello« gehörte nicht in sein Repertoire, und beim späten Debüt als Don Carlos in der Mailänder Scala fiel er durch. Seine vokale Welt war die Leichtigkeit, das silbrige Leuchten der Töne. Pavarotti wurde in London für die Partie des Idamantes in Mozarts Idomeneo gefeiert, die er mit ungewohntem Schmelz sang, an der Scala begann er mit Bellinis »I Capuleti e I Montecchi«. Donizettis Nemorino galt als seine beste Partie. Der in Sachen Gesang außerordentlich erfahrene Intendant der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, nannte Pavarottis Stimme »die schönste Tenorstimme seiner Zeit« und ließ an seinem Haus eine schwarze Fahne aufziehen. Das Stadttheater in Modena soll künftig Pavarottis Namen tragen. Aus den Fenstern der Opernfans wird man seine Schallplatten hören.

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