Hehre Klimaziele allein reichen nicht

Die Weltklimakonferenz in Glasgow muss praktische Wege im Kampf gegen die Erderwärmung eröffnen

  • Anke Herold
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonntag beginnt die 26. Klimakonferenz in Glasgow, wie üblich steigen die Erwartungen von vielen Seiten ins Unermessliche. Leider berücksichtigt der Erwartungshorizont nicht immer, welche Themen tatsächlich auf der Agenda der Verhandler und Verhandlerinnen stehen. Daher vor Beginn eine Übersicht über die drei wichtigsten Themen:

Verschiedene UN-Berichte zeigen, dass die freiwilligen Minderungsverpflichtungen der Staaten infolge des Pariser Abkommens zu einer globalen Temperaturerhöhung um 2,7 Grad Celsius führen würden. Das heißt: Weder das 2-Grad-Ziel noch das 1,5-Grad-Ziel würden erreicht. Wenn zusätzlich betrachtet wird, ob die Minderungsziele mit effektiven Maßnahmen unterlegt wurden, sieht das globale Bild noch düsterer aus.

Anke Herold
Die Geoökologin Anke Herold ist Geschäftsführerin des Öko-Instituts Freiburg.

Es muss also nachgelegt werden. Die Verschärfung der nationalen Ziele ist eines der großen Themen bei der Konferenz. Zwar formulierten 120 Staaten neue oder aktualisierte nationale Ziele. Aber weniger als die Hälfte davon umfassen eine stärkere Treibhausgasreduktion. Viele Aktualisierungen sind Mogelpackungen und enthalten einfach die gleichen Ziele wie bisher, z. B. die für Russland, Australien, Brasilien und Neuseeland. Aber viel mehr als eindringliche Appelle kann die Klimakonferenz hier nicht beschließen, da unter dem Pariser Abkommen jedes Land seinen Beitrag selbst bestimmen kann. Die EU steht vergleichsweise gut da; das EU-Ziel wurde deutlich von 40 auf 55 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 verschärft und ein großes Paket an Gesetzesvorschlägen zur Umsetzung ist vorhanden.

Das zweite große Thema ist die finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Treibhausgasminderung und der Anpassung an die Klimaerhitzung. 2008 hatten die Industriestaaten versprochen, ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden Dollar bereitzustellen. Die jüngste Analyse der OECD zeigt, dass nun erst knapp 80 Milliarden Dollar zusammengekommen sind. Durch neue Ankündigungen könnte dieser Betrag noch auf 90 Milliarden wachsen, aber die 100 Milliarden jährlich für die Periode 2020 bis 2025 werden nicht erreicht.

Die Bundesregierung stellte 30 Milliarden Euro für die Flutschäden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zur Verfügung. Im Vergleich dazu erscheinen 100 Milliarden für alle Entwicklungsländer für Anpassung und Treibhausgasminderung kaum als ausreichend. Das Verfehlen dieses Ziels ist eine äußerst schlechte Ausgangssituation für die Konferenz. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Umweltministerium, hat in Glasgow die schwierige Aufgabe, hier eine überzeugende Lösung zu finden.

Ein drittes Thema ist die Transparenz der Verpflichtungen und deren Umsetzung. Die Berichte über den Stand der globalen Emissionen suggerieren, dass wir die Trends kennen. Das gilt aber nur für einen Teil der Staaten. Während die Industrieländer seit langem jedes Jahr 75 Tabellen mit detaillierten Emissionsdaten und einen dicken Bericht zur Berechnungsmethodik abgeben müssen, hatten die Entwicklungsländer eine solche Pflicht bisher nicht. Sie legen häufig nur eine Tabelle mit Daten für weit zurückliegende Jahre vor, auch die großen Emittenten: Das jüngste Jahr, für das China berichtet hat, ist 2014. Indien hat in diesem Jahr einen neuen Emissionsbericht für 2016 eingereicht, Saudi Arabien für 2012.

Im Pariser Abkommen wurde beschlossen, dass es künftig eine einheitliche Berichterstattung aller Länder geben soll. In Glasgow muss nun über einheitliche Datentabellen entschieden werden. Hier möchte eine Reihe von Ländern – angeführt von China, Indien, Brasilien und Ägypten – möglichst wenig ändern. Brasilien möchte sein quantitatives Reduktionsziel von 43 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2005 nur mit qualitativen Daten messen, nicht aber anhand der Emissionstrends. Klingt absurd, ist auch so. Aber im UN-System mit Konsensprinzip werden die absurdesten Vorschläge oft mit größerem Eifer diskutiert als die sinnvollen.

Unzureichende Ziele ohne effektive Überwachung – das wäre ein denkbar schlechtes Ergebnis der Klimakonferenz. Die Dringlichkeit der Klimakrise sollte endlich auch die Vorschläge im Verhandlungsprozess prägen. Darauf warten viele engagierte Verhandler und Verhandlerinnen leider seit Jahren vergeblich.

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