Ganz Rom leidet unter G 20-Gipfel

Tausende protestierten gegen das Treffen. Andere ärgerten sich über Einschränkungen im Verkehr

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Die letzten Tage werden die Römer*innen nicht so schnell vergessen. Die schon an sich ziemlich chaotische Stadt war während des G 20-Gipfels noch viel unzugänglicher geworden und jede Aktivität, egal wie wichtig sie auch erscheinen mochte, wurde unendlich erschwert und zu einem kaum zu bewältigenden Hindernislauf. Adeleide Balzametti wollte zur Beisetzung ihrer Schwägerin fahren. Aber nachdem sie fast zwei Stunden in irgendeinem Stau gestanden und Polizist*innen sie immer wieder in eine andere Richtung gelenkt hatten, gab sie entnervt auf: Die Beisetzung musste ohne sie stattfinden. Franca Poggianti wollte mit ihrer Freundin einen neuen Regenmantel kaufen, aber irgendwann wurde die Einkaufsstraße gesperrt und es dauerte über eine Stunde, bis die 35 schwarzen Autos mit endlosem Polizeischutz vorübergerauscht waren – der US-amerikanische Präsident Joe Biden war beim Papst!

Solche Geschichten kann fast jede und jeder erzählen. Immer wieder fragte man sich, welche U-Bahnstationen denn nun gesperrt wurden, welche Straßen befahrbar und welche Busse wohin umgeleitet worden waren. Der Versuch der Regierung, das Gipfeltreffen an der Peripherie stattfinden und die Bürger*innen möglichst unbehelligt zu lassen, ist gnadenlos gescheitert. Die gesamte Stadt wurde in Mitleidenschaft gezogen. Dabei ist alles eigentlich sehr ruhig abgelaufen – wenn man mal von einem leichten Unfall zwischen zwei Begleitwagen von Joe Biden absieht, der allerdings auch nur Blechschaden verursacht hat.

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Die verschiedenen Demonstrationen verliefen friedlich. In der Nähe der römischen Pyramide hatten sich viele Menschen (die Organisatoren sprachen von mehr als 30 000) versammelt, um gegen das Gipfeltreffen zu protestieren. Die Demo war äußerst »bunt«, die vielen roten Fahnen der Partei Rifondazione Comunista waren schon von Weitem sichtbar und die Gesänge und Sprechchöre der Teilnehmer konnte man noch mehrere Straßenzüge entfernt wunderbar hören. Die vielen Ordnungskräfte wirkten zwar irgendwie bedrohlich, hielten sich aber doch immer, so weit wie ihnen möglich, im Hintergrund.

Eingreifen »mussten« sie nur, als etwa 50 Aktivist*innen eines Antifa-Zentrums, das zu einem der Mittelpunkte aller Protestaktionen geworden war, sich auf eine der Zufahrtsstraßen zum Tagungsort der »Mächtigen« setzten. Sie warteten dort, bis die Polizist*innen sie nacheinander wegtrugen. Selbst die konservative Presse berichtete über diese Aktion, die »nach dem Muster von Gandhi« stattfand und konnte darin nichts besonders Verwerfliches entdecken.

Viele der Teilnehmer der Gegenaktionen zum Gipfel waren mit Zelten angereist und kampierten auf der alten, stillgelegten und von einem Jugendzentrum besetzten Hunderennbahn von Rom. Ihre Blicke gingen vor allem besorgt in den wunderbar blauen Himmel, da die Wettervorhersagen Regen angekündigt hatten. Aber der Himmel meinte es gut mit den Demonstrant*innen und die Sonne schien, was das Zeug hielt.

Auch am Sonntag fanden noch in vielen Theatern und Kinos große Versammlungen statt, bei denen die Protestaktionen noch einmal besprochen und ausgewertet wurden.

Viele der Teilnehmer werden wohl jetzt nach Glasgow reisen, wo am Sonntag die Klimakonferenz Cop26 begann. Der britische Prinz Charles erklärte, dass die Konferenz »unsere letzte Chance ist, um den Planeten zu retten«. »Wir müssen die schönen Worte in noch schönere Aktionen verwandeln«, sagte er. Damit waren die Teilnehmer an den verschiedenen Kundgebungen zwar einverstanden – sehr groß ist ihr Vertrauen in die »Großen 20«, die zusammen über 80 Prozent des Bruttosozialprodukts der Welt ausmachen, allerdings nicht.

Frau Balzametti, die nicht zur Beisetzung ihrer Schwägerin fahren konnte, fragt sich, was diese drei Tage wohl für die Welt gebracht haben. »Man sieht in der Presse immer nur schöne Fotos von den Delegierten, wie sie den Trevi-Brunnen, das Kolosseum und unsere anderen Sehenswürdigkeiten bewundern oder sich gegenseitig die Hände schütteln. Hätte man das denn nicht auch haben können, ohne vier Millionen Römerinnen und Römern auf die Nerven zu gehen? Und dem Klima haben das ewige Hin-und-Herfahren und die vielen Tausend Flugkilometer sicher auch eher geschadet.«

Am Sonntagnachmittag, als die unzähligen Delegationen langsam wieder die Ewige Stadt verließen, kehrte Ruhe ein. Das übliche Chaos hat Rom wieder erfasst.

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