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Als die Kirchen schwiegen

Manfred Gailus über Religiosität im »Dritten Reich« und die Haltung der Christen zur Judenverfolgung

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.

War der lange wider besseres Wissen geübte Glaube an den »Endsieg«, an den von der »Vorsehung« beschützten »Führer« Adolf Hitler, nur Ausdruck »Gläubiger Zeiten«? Manfred Gailus, Historiker und Professor an der TU Berlin, der zuletzt am Zentrum für Antisemitismusforschung lehrte, untersucht seit Jahren Aspekte der Religiosität im »Hitlerreich«, wie er die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland (und Österreich) nennt. Jetzt legt er ein Fazit seiner Forschungen in einem gut lesbaren knappen Band vor, der den Stand seiner Wissenschaft abbildet und mit zahlreichen Details und auch weniger bekannten Aspekten den Wunsch nach einer Überblicksdarstellung der Diskrepanz zwischen theologischer Lehre, Glauben, Haltung und Handlung erfüllt.

Der Autor beschreibt und analysiert schlüssig das Verhalten der beiden großen christlichen Konfessionen, die neuen Glaubensbewegungen in der Hitlerzeit und die nicht sehr konsistente Politik des Regimes in der »Religionsfrage«. Gailus fragt: »War zu wenig religiöser Glaube zwischen 1933 und 1945 vorhanden und geschah deshalb die schlimme Entgleisung der Deutschen auf dem Weg in die Moderne? Oder haben die Deutschen womöglich zu viel geglaubt und geschah ihr Abgleiten in die verheerenden Katastrophen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust aufgrund eines Zuviel an Glauben, infolge eines Überschusses an Gläubigkeit und Religion?«

Die Antworten auf diese und auch auf die Frage, ob die NS-Epoche eher eine areligiöse Zeit »forcierter Gottlosigkeit« war, sind nicht einfach. Darüber wurde und wird immer wieder in der Historikerzunft heftig gestritten. Als Fazit kann man diesem Buch entnehmen: Die christlichen Konfessionen waren in erstaunlichem Maße mit der nationalsozialistischen Ideologie und vor allem mit ihrem rassistischen und antisemitischen Kern kompatibel. Gailus belegt dies konkret, getrennt nach den Konfessionen.

Der Autor fand bei der protestantischen Mehrheitsgesellschaft eine weitaus höhere Anfälligkeit für das »Erlebnis 1933«, und zwar sowohl in der theologischen Wissenschaft, in der Welt der Pfarrer und in jener der Gläubigen, als in der katholischen Kirche. In Scharen traten evangelische Christen der NSDAP bei und förderten deren Politik. Die katholische Minderheit sei weniger anfällig gewesen, hatte durch ihre römische Führung und auch durch das Reichskonkordat von 1933 etwas mehr Halt, feierte aber, wie eines der zahlreichen zeitgenössischen Fotos im Buch zeigt, den Dankgottesdienst zum Abschluss des Konkordats in der Berliner Hedwigs-Kathedrale im Schmuck von Hakenkreuzfahnen.

Den Lackmustest, wie sich die Kirchen und die Christen im Lande Hitlers zur »Judenfrage« verhielten, bestanden beide Konfessionen nicht. Gailus fällt das vernichtende Urteil über die Reaktion auf die sogenannte »Reichskristallnacht« vom 9. November 1938: »Die Kirchen schwiegen. Es schwiegen der Papst, Bischöfe und Pröpste, Generalsuperintendenten und Oberkirchenräte, Theologieprofessoren, große und kleine Synoden, Bruderräte und andere Versammlungen und Gremien, fast sämtliche Geistliche beider Konfessionen (zusammen ein stattliches geistliches Heer von etwa 45 000 akademisch gebildeten Theologen), es schwiegen schließlich die Millionen Christen des allgemeinen Kirchenvolks.« Nicht anders verhielt es sich später bei den Deportationen und der Ermordung der Juden, der Sinti und Roma, bei der Euthanasie, bei der Verfolgung von politisch Missliebigen, von Homosexuellen oder der mörderischen Ausbeutung von Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern.

Der Autor kennt und benennt natürlich auch vereinzelte Ausnahmen, wie etwa die des Münsteraner katholischen Bischofs von Galen oder die Eingaben des protestantischen württembergischen Bischofs Wurm, der gegen die »Ausrottung« der »Nichtarier« protestierte. Gailus zitiert aus dessen letztem Schreiben vom 20. Dezember 1943: »Wir Christen empfinden diese Vernichtungspolitik gegen das Judentum als ein schweres und für das deutsche Volk verhängnisvolles Unrecht.« Die Reaktion aus der Reichskanzlei war eine in schärfstem Ton gehaltene Verwarnung. Die Regel aber waren Entsolidarisierung, Beihilfe zur Verfolgung und Mittäterschaft. Besonders krass ist das von Gailus zitierte Schreiben des Propstes Dr. Walter Hoff, Pfarrer an der St. Petrikirche im Zentrum Berlins. Dieser brüstete sich Ende September 1943 in einem Schreiben an den Oberkonsistorialrat Horst Fichtner mit seinem bespiellosen Kriegseinsatz: »Er selbst habe eigenhändig an der Liquidation von einigen Hundert Juden im Osten mitgewirkt.« Nach 1945 »wurden ihm die Rechte des Geistlichen Standes zunächst aberkannt. Er stritt dann unter dem Etikett ›heimatvertriebener Ostpfarrer‹ erfolgreich um vollständige Rehabilitierung und ein angemessenes kirchliches Ruhegehalt.«

Manfred Gailus: Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich. Herder, 223 S., geb., '
20 €.

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