Impfbooster und »2G plus«

Senat will auch für Genesene und Geimpfte zusätzliche Regeln. Covid-Lage in den Kliniken dramatisiert sich

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Michael Müller ist sichtlich angestrengt. Der Noch-Regierende-Bürgermeister (SPD) tritt am Dienstag nach der Senatssitzung zusammen mit den Klinikleitungen von Charité und Vivantes, Heyo Kroemer und Johannes Danckert, vor die Presse und fragt: »Was muss eigentlich noch passieren, damit Menschen die Impfangebote wahrnehmen?« Müller und die Krankenhauschefs sind erschienen, um zu erklären, was derweil noch passieren kann. Denn die Lage, so Kroemer, sei bereits »irreversibel«, also unumkehrbar.

Derzeit lägen 70 Covid-19-Patient*innen auf den Intensivstationen der Charité, 70 Prozent davon seien nicht gegen das Virus geimpft. »Das System wird extrem herausgefordert«, erklärt der Charité-Vorstandsvorsitzende. Dass elektive Operationen verschoben werden müssen, weil die Personalkapazitäten nicht ausreichen, sorgt dafür, dass Menschen, die äußerst schmerzhafte Krankheitsbilder haben, warten müssten. Bei zeitkritischen OPs, zum Beispiel bei Tumorerkrankungen, sei das allerdings nicht der Fall. Mit »deutlichen Schilderungen« versuchen Kroemer und Danckert die Schieflage zwischen dem Impf-Pieks, der »definitiv keine Spätfolgen« mit sich bringe, und den tödlichen Folgen eines schweren Verlaufs, aber auch den ausgebrannten Pflegekräften darzustellen. Hier gebe es viel Frustration angesichts der nicht erfüllten Hoffnungen vom vergangenen Herbst, dass die Impfungen und Maßnahmen angenommen und wirken würden.

Inzidenzen und Impfmöglichkeiten

Die Sieben-Tage-Inzidenz der Ausbreitung des Coronavirus in Berlin ist weiter leicht gestiegen. Am Dienstag wurde der Wert mit 315,8 angegeben, wie das Robert-Koch-Institut mitteilte. Die Gesundheitsämter meldeten demnach innerhalb eines Tages 2593 nachgewiesene Neuinfektionen, darunter auch Nachmeldungen vom Wochenende. Seit Ausbruch der Pandemie haben sich so nachweislich 245 553 Menschen mit dem Coronavirus infiziert.

Die Corona-Inzidenz in Brandenburg ist über den Wert von 400 gestiegen. Das Gesundheitsministerium meldete am Dienstag 405,6 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche.

Ein Impfzentrum auf dem Gelände der Trabrennbahn Karlshorst soll derweil die Impfmöglichkeiten im Ostteil der Hauptstadt ausbauen. Außerdem soll die Impfkapazität im Lichtenberger Ring-Center erhöht werden. Derzeit sind nur noch die beiden Impfzentren an der Messe und in Berlin-Tegel geöffnet. Weitere Impfzentren waren im August geschlossen worden. dpa/nd

Wer kontrolliert wen wozu? Ob die Infektionslage wieder kontrollierbar wird, hängt an jedem einzelnen

»Das Personal ist unser größter Schatz«, so Danckert, der noch im September während des Tarifstreits mit den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten und Verdi mit harten Bandagen gegen die Forderungen ins Feld gezogen war. Es sei nicht zu verstehen, warum Menschen behaupteten, sie könnten keine FFP-2-Maske tragen, während asthmaerkrankte Pflegekräfte dies über zehn Stunden einhielten. »Wir haben gesagt, im Herbst brauchen wir eine gute Impfquote, das haben wir nicht geschafft«, kommt Müller auf die Maßnahmen zurück, die für das Land Berlin angesichts der dramatischen Situation erwogen werden. Nach der Einführung der 2G-Regel wolle man darüber hinaus schnell die Möglichkeit von »2G plus« umsetzen. Während bei 2G nur Geimpfte und Genesene zugelassen würden, könne dies heißen, dass zusätzlich auch Abstände eingehalten oder Masken getragen oder negative Tests vorgelegt werden müssten.

»Das bereiten wir jetzt vor im Senat, sodass wir für die Wintermonate noch einmal ein zusätzliches Instrument haben, um auf die Situation zu reagieren«, sagt Müller. Institutionen und deren Besucher sollen so zusätzliche Sicherheit erhalten. Die genaue Ausgestaltung sei noch offen. »Dass wir aber ein Plus formulieren wollen, darüber waren wir uns heute einig.«

Zermürbtes Pflegepersonal. Viele Krankenhaus-Beschäftigte haben aufgrund der extremen Belastungen in der Pandemie ihren Job an den Nagel gehängt

Erst seit Montag gelten in Berlin verschärfte Corona-Regeln in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zu Restaurants, Kinos, Theatern, Museen, Galerien, Konzerthäusern haben nur noch Geimpfte und Genesene (2G) Zutritt, auch Sporthallen, Schwimmbäder, Freizeiteinrichtungen sind davon betroffen. Ausgenommen sind Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, und solche, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können.

Müller appellierte an die Bezirke, sich bei 2G-Kontrollen stärker zu beteiligen. Schwerpunktkontrollen im Verkehr sollten zurückgestellt werden. Es gehe, so der Regierende, gerade weniger um »Falschparker« als um Menschenleben. Hoffnung setzt der SPD-Politiker auch auf die Auffrischimpfungen, bei denen die Quote in der Hauptstadt mit 20 Prozent doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt sei. Dafür müssen die Impfkapazitäten wieder hochgefahren werden. Beim geplanten Wiederausbau der Impf-Infrastruktur mangele es aber an Personal. Voriges Jahr hätten Menschen aus Gastronomie und Kultur ausgeholfen, inzwischen hätten viele jedoch wieder andere Aufgaben gefunden. Hilfe, auch von der Bundeswehr, so Müller, sei daher erneut »willkommen«.

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