Ausgrenzung fängt vor der Kitatür an

Im Ringen um die knappen Betreuungsplätze bleiben in Berlin die Kinder auf der Strecke, die sie am dringendsten brauchen

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die Kitagebühren sind abgeschafft, das ist ja auch richtig so. Aber wer profitiert davon am Ende?«, fragt Gökhan Akgün von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin. Deren Landesausschuss für Migration kritisiert in einer aktuellen Stellungnahme, dass Kinder aus Familien von People of Color (PoC) bei der Vergabe von Kitaplätzen benachteiligt werden. »Die Familien, die überhaupt keine Probleme hätten, die Beiträge zu zahlen, werden entlastet und bekommen die Plätze, und die Kids, die eine Sprachförderung und die Kita brauchen, bleiben auf der Strecke«, sagt Akgün zu »nd«.

Es ist ein vielschichtiges Problem, das in der auch vom Türkischen Elternverein Berlin-Brandenburg, der Initiative Togo Action Plus und anderen Verbänden unterzeichneten Stellungnahme der GEW dargelegt wird. Diskriminierungen bei der Platzvergabe würden einerseits durch die Träger stattfinden. Durch den Mangel an Kitaplätzen in der Hauptstadt können die Träger mehr oder weniger frei entscheiden, wen sie aufnehmen und wen nicht. »Das sind dann oft Kinder aus weißen Akademiker*innenfamilien. Das spiegelt die Zusammensetzung der Kieze nicht wider«, sagt Akgün. Ein weiterer Kritikpunkt seien Sonderbeiträge, die Kitas von den Eltern verlangen. »Eigentlich ist es verboten, diese Zuzahlungen vorauszusetzen bei der Platzvergabe, aber viele halten sich nicht daran«, so der Berliner Gewerkschafter. Diese würden zum Beispiel für einen besseren Betreuungsschlüssel, eine Mitgliedschaft im Förderverein oder eine besondere pädagogische Ausrichtung verlangt werden.

Um daran etwas zu ändern, sieht Akgün die Fachaufsichten in der Verantwortung. Kitaaufsichten gibt es in allen Berliner Bezirken. »Die Aufsichten müssen bei Diskriminierung genau hinschauen. Dafür brauchen sie aber die notwendigen Kompetenzen und müssen personell aufgestockt werden.« zusätzlich brauche es aber auch anonymisierte Bewerbungsverfahren und Elternbeiräte mit PoC-Vertreter*innen, die mit den Stadträt*innen und Trägern zusammen verhandeln, um gezielt gegen Benachteiligungen bei der Platzvergabe vorzugehen.

Im Kern gehe es aber um die soziale Frage. »Familien, die keine Kohle haben, kommen schlechter an Kitaplätze. Und das trifft PoC-Familien besonders häufig«, sagt Akgün.

Das sieht Babette Sperle vom Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) ähnlich. »Je schlechter es um die gesellschaftliche Teilhabe einer Familie bestellt ist, desto schwieriger ist es, einen der übernachgefragten Kitaplätze zu bekommen«, sagt Sperle. Das etablierte Gutscheinsystem sorge für bürokratische Hürden, die es gerade Familien mit Sprachbarrieren erschweren, ihre Ansprüche geltend zu machen.

Auch Günay Darici, Geschäftsführerin vom Verein der Eltern aus Kurdistan in Deutschland Yekmal, der die GEW-Forderungen mit unterzeichnet hat, setzt sich gegen Diskriminierungen bei der Kitaplatzvergabe ein. »Ich höre zum Beispiel von Fällen, in denen Kinder abgelehnt werden, weil sie im Alter von drei oder vier Jahren kein Deutsch können«, so Darici zu »nd«. Um sich in solchen Fällen wehren zu können, brauche es mehr Ressourcen für Migrant*innenselbstorganisationen. »Wenn wirklich mehr Beteiligung und Teilhabe gewünscht ist, dann müssen migrantische Vereine in Entscheidungen einbezogen werden, zum Beispiel in Beiräten. Sie haben die Expertise, um Probleme und Bedürfnisse am besten zu beschreiben«, sagt sie.

Die Forderungen müssten dringend politisch umgesetzt werden. Noch warte man auf das Ende der Koalitionsverhandlungen in Berlin, bevor man sich dann an die gegebenenfalls neuen Verantwortlichen in der Landespolitik wende, sagt Gökhan Akgün von der GEW. »Jetzt versuchen wir erst mal, Öffentlichkeit für das Problem herzustellen«, so der Gewerkschafter.

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