Der Hass auf die Schwachen

Jeja nervt: Für wen man in der Pandemie mitentscheiden muss

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 4 Min.

In meiner Kolumne vor zwei Wochen schrieb ich über die »Pandemie der Gebildeten«. Die Bildungsbürger*innen seien wütend, behauptete ich, wegen Ungeimpfter nun ihre »Freiheit« einschränken zu sollen, jedoch mit ihrem gebildeten Weltzugriff selbst an der vierten Welle schuld. Das war natürlich provokativ zugespitzt. Und es war eine trotzige Antwort auf das Treten nach unten in den Medien, das sich erst wieder beruhigte, als die Politik Richtung Impfpflicht umschwenkte. Nun: Für die bin ich auch.

Aber wir sollten uns an dieser Stelle befragen, ob wir die Spritze zur Linderung von Leid, zum Schutz der Unbeschützten gesetzt sehen wollen. Oder ob wir die ungeimpften Idiot*innen auch ein kleines bisschen bestrafen möchten. Ich für meinen Teil bekenne mich zur Straflust. Das Bekenntnis ist der erste Schritt, um etwas weniger in das eigene Denken einsickern zu lassen.

JEJA NERVT

Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasnd.de/jejanervt

Ich bin kritisiert worden. Mit der Charakterisierung des größeren Teils der Ungeimpften als Marginalisierte, die die Medien, in denen wir sie täglich zum Impfen auffordern, nicht konsumierten, würde ich klassistische Klischees verbreiten. Viele der Impfverweiger*innen seien selbst gebildet. Sie hätten eben diskriminierende Weltbilder wie Sozialdarwinismus und Ableismus, die Diskriminierung behinderter Menschen, verinnerlicht. Deretwegen weigerten sie sich, vulnerable Gruppen zu schützen.

Mit Diskriminierung nun gegen Diskriminierung anzugehen, könne das Problem nicht lösen. Unabhängig von Bildung sei das Problem die vertretene, diskriminierende Ideologie. Es gebe eben nicht »die eine schuldige Gruppe«. Antidiskriminierung sei das Zauberwort - und zwar eine, die Fragen von Zugang und Teilhabe in den Vordergrund stellt.

Jetzt bin ich keine Gegner*in einer solchen Politik der Antidiskriminierung. Ich würde nur die Grundlagen kritisieren, auf denen eine solche Politik aufbaut. Sie möchte, dass diskriminierte Menschen nicht wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit von Rechten, Chancen und unserer Empathie ausgeschlossen werden. Doch wenn die Rechte von Diskriminierten endlich gewahrt werden, bedeutet das, sie auf den Status eines bürgerlichen Subjektes zu heben, das freie Entscheidungen auf dem Markt treffen kann. Ein bürgerliches Subjekt sind ja, verfassungsgemäß, alle. Und trotzdem ist dieses Subjekt ein männliches Ideal. Es stellt das Individuum in die Mitte, das rational zu seinen Gunsten entscheidet, frei in Beziehung zu anderen tritt, autonom ist, über sich selbst bestimmt.

Diskriminierte, so die Idee, sollten endlich all diese Privilegien ebenfalls bekommen. Frauen zuvorderst, Queers, behinderte Menschen, People of Color und so weiter. Das impliziert, dass alles gut wäre, wenn die endlich auch wie männliche, weiße, cis-heterosexuelle, befähigte Menschen würden. Na, das fehlte ja noch! Faktisch geht ein solcher Ansatz der Antidiskriminierung von einer Wertschätzung der Stärke aus. Wenn jeder stark und »empowert« ist, so die Idee, kann niemand mehr wegen seiner Schwäche unterdrückt werden. Ich habe feministische Einwände dagegen und würde vorschlagen, stattdessen eher eine Politik zu entwickeln, die die Schwäche, die Verletzlichkeit ins Zentrum stellt.

Man ginge dann von einem Menschenbild aus, in dem wir nie autonom sein können, nur in Beziehungen existenzfähig und darum abhängig vom zufälligen Sein der anderen, etwa der Familie. Unsere Emotionen verunmöglichen uns freie, rationale Entscheidungen auf dem Markt. Wir sorgen uns umeinander und entscheiden dabei für andere mit - etwa für unsere Kinder.

Aus Gründen der Antidiskriminierung also so zu tun, als gäbe es die systematisch Marginalisierten des kapitalistischen Patriarchats nicht, weil wir die Schwäche dieser Menschen, ihre Unfähigkeit zu Vernunft und Selbstaufklärung, nicht denken können oder wollen, hilft nicht. Wir als Gebildete, als Starke müssen auch für sie sorgen - und manchmal entscheiden. Auch wenn uns diese Idiot*innen dabei unfassbar nerven. Denn nichts ist nerviger, als durch andere an unsere eigene verleugnete Schwäche erinnert zu werden.

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