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Saskia Esken und Kevin Kühnert erzielen auf dem SPD-Parteitag keine überragenden Ergebnisse

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Applaus blieb verhalten, als Saskia Esken und Lars Klingbeil am Samstagnachmittag die Bühne der Berliner Messehalle betraten. Der zweite Corona-Winter und die hohen Infektionszahlen hatten eine Vollbesetzung des SPD-Parteitags unmöglich gemacht, und die wenigen anwesenden Delegierten – Führungsriege, Minister, Spitzenvertreter aus den Ländern – waren auf sich allein gestellt natürlich nicht imstande, für große Euphorie zu sorgen. Doch auf eine gewisse Weise passte diese seltsam gedämpfte Stimmung auch ohne Corona ins Bild: Nach 16 Jahren und gefühlt noch mehr Krisen sitzen die Sozialdemokraten endlich wieder an den Schalthebeln, seit Mittwoch stellen sie mit Olaf Scholz den Kanzler – doch von Überschwänglichkeit war beim Amtsantritt des neuen Vorsitzenden-Duos wenig erkennbar.

Die Abgeklärtheit und Nüchternheit, mit der Esken in ihre zweite Amtszeit eintrat und Klingbeil die Regie von Norbert Walter-Borjans übernahm, war einerseits nicht überraschend: Gegenkandidaten gab es keine, der Verlauf des Parteitags war gewissermaßen durchchoreografiert. Andererseits gab es zumindest für Esken auch keinen Grund, in allzu große Jubelstürme auszubrechen: Die 60-Jährige erzielte mit 76,7 Prozent ein höchst mäßiges Ergebnis – nur ein leichter Anstieg gegenüber 2019, als ihr die SPD, immerhin tief in der Krise steckend, mit 75,9 Prozent erstmals die Parteiführung anvertraut hatte.
Damals hatte sie sich mit Norbert Walter-Borjans zu einem linken Duo zusammengetan und in einer Urabstimmung gegen die etablierten Pragmatiker Olaf Scholz und Klara Geywitz durchgesetzt – eine Sensation. Zwei Jahre später sind die Rollen vertauscht: Der eine ist Kanzler, die andere Bauministerin. Und Esken hat immer noch mit ihrer parteiinternen »Popularität« zu kämpfen.

Nur Klingbeil, der nach dem angekündigten Rückzug von Walter-Borjans nun an der Seite Eskens die SPD anführt, kann mit seinen 86,3 Prozent zufrieden sein. Er gilt als ausgleichender Charakter, der sowohl mit konservativen Seeheimern als auch mit jungen Linken um Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert, mit dem er privat befreundet ist, gut auskommt. Sein Nachfolger als Generalsekretär musste sich derweil mit 77,8 Prozent begnügen: Kühnert, das wurde am Samstag in Berlin einmal mehr deutlich, ist trotz seines großen Talents so manchem Konservativen in der Partei immer noch ein Dorn im Auge.

Nicht alle Gräben sind zugeschüttet

Viele Beobachter hatten sich im Wahlkampf verwundert die Augen gerieben angesichts der neuartigen Geschlossenheit der SPD. Und manch ein politischer Mitbewerber hatte gar den Mythos gestreut, die SPD halte vermeintliche Quertreiber wie Esken und Kühnert in irgendwelchen Kellern versteckt, damit Ruhepol Scholz ungestört Wahlkampf betreiben kann. Der Parteitag zeigte nun: Nicht alle Gräben sind zugeschüttet. Natürlich, von tiefer Unversöhnlichkeit sind die Sozialdemokraten ebenso weit entfernt wie von jenem Gefühl der Verzweiflung, aus dem heraus sie Martin Schulz anno 2017 als vermeintlichen Erlöser mit 100 Prozent zum Parteichef gekürt hatten. Dennoch hätten nach dieser Bundestagswahl, die aufgrund verschiedener Faktoren – Schwächen der Gegenkandidaten Armin Laschet und Annalena Baerbock, vorsichtige Wechselstimmung in der Bevölkerung, aber auch das Stabilitätsversprechen eines Ex-Finanzministers Scholz – die SPD an die Spitze gespült hatte, auch Esken und Kühnert bessere Wahlergebnisse erhoffen können. Parteilager hin, Parteilager her.

Wie angeschlagen, fast schon kaputt die SPD in der Vergangenheit gewesen war, ließen die Reden der beiden neuen Vorsitzenden mehr als nur erahnen. »Es gab Zeiten, da erschien der Niedergang der Sozialdemokratie fast unausweichlich«, sagte Saskia Esken – doch »wir haben uns ein Herz gefasst, die Fehler der Vergangenheit analysiert und gemeinsam entschieden, wie es besser gehen kann.« Lars Klingbeil eröffnete seine Ausführungen mit einem Zitat der Hamburger Indierock-Band Kettcar: »Nur weil man sich so dran gewöhnt hat, ist es nicht normal. Nur weil man es nicht besser kennt, ist es nicht egal«, heißt es am Ende der ersten und zweiten Strophe des Stücks »Deiche«. Der 43-Jährige blickte zurück auf die schlechten Umfragewerte bis zum Sommer, an die man sich eben nicht gewöhnt habe: »Wir standen mit dem Rücken zur Wand, aber wir haben nie aufgegeben.« Oft sei er abends nach Hause gekommen und habe gedacht, »alles richtig« gemacht zu haben: »Und am nächsten Tag kommt die Umfrage, und du bist wie festgetackert bei 13, 14 Prozent.« Ebenso ließ Klingbeil durchblicken, dass die SPD fast aus den Fernseh-Triellen geflogen wäre: »Anfang Juli hatte ich ein Telefonat mit einem Verantwortlichen für die TV-Formate. Der hat mir sehr deutlich gesagt: 'Wenn ihr jetzt nicht zügig an die Grünen heranrückt, dann seid ihr raus.'«

Kühnert fordert die Partei

Kevin Kühnert gab sich derweil nicht mit Vergangenheitsbewältigung und Selbstbeweihräucherung zufrieden: Einigkeit habe Voraussetzungen, sagte er, und ließ eine gewisse Kritik am Verhandlungsergebnis der Ampel-Koalition anklingen. Der neue Generalsekretär wolle nun klären, ob die seiner Ansicht nach offenen Punkte nur der politischen Mehrheiten geschuldet seien oder »ob wir nicht auch noch ein bisschen programmatische Nachschärfarbeit zu leisten haben«. Als Beispiel nannte er die Bürgerversicherung, welche die SPD seit Jahr und Tag wie ein Inventarstück vor sich herträgt, doch immer noch nicht umgesetzt hat.

Spannend wird jedenfalls zu beobachten sein, wie gut Scholz und der noch vor zwei Jahren mit Sozialismus-Thesen polarisierende Kühnert nun zusammenarbeiten können. Vor allem: wer wen mehr fordert. Für den Ex-Juso-Chef ist es ein Rollentausch in Windeseile: Mit allzu radikalen Forderungen wird er sich künftig zurückhalten müssen, oberste Priorität wird der Schutz des Kanzlers genießen – und der warb bei seinem 20-minütigen Auftritt am Samstag in Berlin um nichts mehr als um Zustimmung für seine Regierungspolitik: »Ich hoffe, dass alle mittun werden.«

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