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Abgeordnete können Nein sagen
Gutachten: Absichtserklärung des Senats für Berliner Signa-Bauprojekte nicht bindend
Die Immobilien-Aufwertungsprojekte der vom österreichischen Milliardär René Benko gegründeten Signa-Holding in Berlin haben es in den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linke geschafft. »Die Zentren am Hermannplatz und der City West wird die Koalition in ihrer Entwicklung und Urbanität stärken, die Karstadt-Areale aus dem Bestand heraus weiterentwickeln und damit langfristig Arbeitsplätze im Einzelhandel sichern«, heißt es auf Seite 9 des 149 Seiten starken Werkes. Hierbei werde »eine städtebaulich verträgliche, sich in die Umgebung integrierende Planung verfolgt, an der die Stadtgesellschaft beteiligt wird«, hat die Koalition vereinbart. Für die City West soll ein Masterplan erarbeitet werden, der ein bis zwei Hochpunkte berücksichtigt.
Damit haben es Teile der im Sommer 2020 zwischen der Signa Holding sowie dem damaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und den beiden Vizes Klaus Lederer (Linke) und Ramona Pop (Grüne) geschlossenen Absichtserklärung - englisch Letter of Intent (LOI) - in den neuen Koalitionsvertrag geschafft. Vier von sechs Filialen des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof sollten demnach für mindestens drei bis fünf Jahre weiterbetrieben werden - im Gegenzug sollten die Baupläne an Alexanderplatz, Hermannplatz und Kurfürstendamm unterstützt werden.
Doch letztlich hat der Letter of Intent für das Land Berlin keine Bindungswirkung, wie aus einem »nd« exklusiv vorliegenden Gutachten hervorgeht. Zwar hätten die drei Bürgermeister die Erklärungen im LOI in ihrer dienstlichen Funktion abgegeben, aber »sie haben dabei nicht erklärt, für das Land Berlin oder den Senat zu handeln«, heißt es in der rechtlichen Einschätzung von Professor Christian-W. Otto. Der Jurist ist Leiter des Fachgebiets Bau-, Planungs- und Umweltrecht am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin. »Das Land Berlin ist also nicht Vertragspartner geworden. Abgeordnetenhaus und die Bezirke sind an den LOI nicht gebunden«, schreibt Otto weiter.
Die Absichtserklärung gebe laut dem Rechtsprofessor der Signa-Gruppe »weder einen Anspruch darauf, dass Bebauungspläne für ihre Standorte aufgestellt werden«, noch auf einen bestimmten Inhalt von Bebauungsplänen. Zumal das letzte Wort bei Bebauungsplänen je nach Zuständigkeit die Bezirksverordnetenversammlungen oder das Abgeordnetenhaus haben. Ohne eine Zustimmung der Parlamente können sie nicht in Kraft treten. »Diese Gremien sind an den LOI, soweit in ihm die Städtebaupolitik des Senats oder nur der drei Bürgermeister zum Ausdruck kommt, nicht gebunden«, schreibt Christian-W. Otto. Zum einen seien sie »nicht förmlich am Abschluss der Vereinbarung beteiligt worden, zum anderen, und dies ist von ausschlaggebender Bedeutung, darf das Land Berlin sich durch derartige Absprachen nicht in der Weise binden, dass der Inhalt von Bebauungsplänen dadurch festgelegt wird«.
Die Linke-Stadtentwicklungsexpertin Katalin Gennburg sieht das Gutachten als Stärkung im Kampf gegen die Baupläne auf den Kaufhausgrundstücken. »Signa will ein Schloss wiederaufbauen, und die SPD macht das mit. Wir aber nicht«, sagt sie zu »nd«. »Ich bin froh, dass die Beschlüsse unserer Partei uns klar binden«, so Gennburg weiter. Auf zwei Parteitagen, im November 2019 und im August 2020, fassten die Mitglieder Beschlüsse gegen die Bauvorhaben.
Die Linke-Politikerin bewertet die Signa-Pläne als »profitgetriebene Immobilienspekulation«. Dass Signa am Kaufhausgeschäft jenseits der Luxushäuser nur bedingtes Interesse haben könnte, darauf deutet das extrem niedrige Grundkapital der Galeria Kaufhof Karstadt GmbH von nur einer Million Euro hin, mit dem das Unternehmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens im September 2020 ausgestattet worden ist. Und während sich die Verluste in der Kaufhaussparte türmen, sprudeln die Gewinne bei der Signa Prime Selection AG, der Premium-Standorte wie das KaDeWe, das Oberpollinger in München, aber auch das Haus am Hermannplatz gehören. Ende Oktober 2020 schüttete sie über 200 Millionen Euro an die Aktionäre aus. Der Großteil der Gewinne resultiert aus gestiegenen Immobilienbewertungen.
Beharrlich gegen die Hochhauspläne am Kurfürstendamm arbeitete die parteilose ehemalige Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, die zuletzt, bis zu ihrem Ausscheiden Ende Juli, unter Senator Sebastian Scheel (Linke) den Staatssekretärinnenposten innehatte. Inzwischen ist auch das Projekt am Hermannplatz in Zuständigkeit der Stadtentwicklungsverwaltung, wie erst auf Nachfrage im November bekannt geworden ist.
Neue Senatsbaudirektorin soll die Berliner Architektin Petra Kahlfeldt werden, wie die SPD-Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh am Montag vergangener Woche bekannt gaben. Initiativen und Anwohner können wohl eher nicht auf ihre Unterstützung zählen. »Mit ihr droht der Rückfall in die ideologischen Grabenkämpfe einer Ära, in der zentrale Zukunftsthemen lange vernachlässigt wurden. Mit ihr ist zu befürchten, dass anstelle integrativer Bemühungen für eine ›Stadt für Alle‹ eine erneute Polarisierung und vordergründige Ästhetisierung baukultureller Fragen tritt«, heißt es nun in einem offenen Brief auf der Internetseite der Architektur- und Urbanismuszeitschrift »Arch+«.
In dem Schreiben wird darauf aufmerksam gemacht, dass Petra Kahlfeldt mit ihrem Mann bisher »vor allem mit der Realisierung von Villen und Luxuswohnanlagen im gehobenen Preissegment verantwortlich gewesen« sei. Die Architektin stehe nicht für »partizipative Planungsprozesse« und sei Mitverfasserin einer ›Charta für die Berliner Mitte‹ von 2014, in der »eine weitreichende Privatisierung öffentlicher Grundstücke« im Zentrum der Hauptstadt gefordert wurde. Diese Position habe sie auch in späteren Wortmeldungen immer wieder bekräftigt.
Die Unterzeichner, darunter »Arch+«-Chefredakteur Anh-Linh Ngo und der bekannte Architekt Matthias Sauerbruch erneuern die Forderung nach einem offenen und transparenten Findungs- und Auswahlverfahren für die Besetzung des Postens, wie sie von der Architektenkammer sowie einem von über 450 Expertinnen und Experten unterzeichneten früheren offenen Brief erhoben worden war. Denn die Personalie Petra Kahlfeldt werde »zu erheblichen Konflikten in der Berliner Stadtgesellschaft und zu baupolitischen Blockaden« führen.
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