Sexparties als Gesellschaftskritik

Sexparties können eine Form von sexueller Befreiung und sexpositiver Kritik an der konventioneller Geschlechterordnung sein. Sie können aber auch klassische gesellschaftliche Muster normgetreu reproduzieren.

  • Yulia Myshka
  • Lesedauer: 6 Min.
Sexparties: Sexparties als Gesellschaftskritik

»Wie man das neue Jahr beginnt, so wird man’s auch verbringen«, lautet ein russischer Neujahrsspruch. Schade für uns alle, die wir erneut gezwungenermaßen in kleiner Runde den Jahreswechsel zelebrieren werden: ohne Knallkörper, Klubnächte oder erinnernswerte Exzesse. Während manche ihre Feuerwerke vermissen und andere auf chemiegeladenes Tanzen verzichten müssen, stirbt für eine (längst nicht mehr kleine) Berliner Gesellschaft die Hoffnung auf grenzenlosen Silvester-Sex: Zumindest offiziell gibt es keine Sexpartys der sexpositiven oder kinky Community.

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Knick knack. »Lust und Laune« ist dein Beglückungsprogramm rund ums Thema Sex. Dabei sprechen wir alle zwei Wochen über consent, kinky Sex und Dinge, die nicht nur zwischen den Laken passieren. Wir nehmen unterschiedliche Perspektiven ein, tauchen in die Tiefe des Begehrens ein und berichten für euch darüber - links und einfach befriedigend. Alle Texte unter dasnd.de/lustundlaune

»Sexpositivität« beschreibt Laura Méritt als kritische Position gegenüber sogenannter sexueller Liberalisierung (wie es die 68er-Jahre für heterosexuelle Männer waren) und Mainstream-Medien, die bestimmte geschlechtlich codierte Rollenverteilungen, Sexualpraktiken und Beziehungsmodelle normieren. Diese Normen entsprechen einer kapitalistischen und patriarchal organisierten Gesellschaft und diskriminieren abweichende Perspektiven, Orientierungen oder Verhaltensweisen - wobei »Abweichung« relativ zum angenommenen »Standard« des Männlichen, Heterosexuellen und Monogamen zu lesen ist. Kapitalistisch, weil das unersättliche »Rätsel der Frau«, das dunkle Geheimnis ihrer scheinbar unsichtbaren, verborgenen Sexualität, sich nicht nur als Pornographie endlos konsumieren lässt, sondern auch als rentable Vermarktungsstrategie herhält: Den Zauber der Erotik, die zwar genug für die Phantasie, aber zu wenig zeigt für ihre Befriedigung, kennt jedes Werbeplakat. Patriarchal, weil die dargebotenen Bilder von Sexualität (und damit der Frau, die in den objektifizierende Augen des scheinbar objektiven Mannes als geschlechtlich markierte »Andere« gerne mit Sexualität gleichgesetzt wird) vom männlichen, heterosexuellen Begehren bestimmt sind: Auch heute noch verstehen viele unter »Sex« nur die Penetration der Vagina mit einem Penis – wobei die Empfindungen der Vulva, die alternative Möglichkeit einer »Circlusion« und alle queeren Praktiken ausgeblendet werden. Dass eine solche partielle Perspektive wenig zu selbstbestimmter weiblicher Sexualität beiträgt, liegt auf der Hand.

Deshalb braucht es unkonventionelle Medien, um andere Bilder zu vermitteln (wie feministische und queere Pornographie) und geschützte Räume, um die eigene Sexualität zu praktizieren (wie die oben erwähnten Partys). Was Pornographie angeht, kann ich für Erkundungslustige einige uneingeschränkte, herzliche Empfehlungen aussprechen – unter anderem das jährliche Porn Film Festival in Berlin, die Filme von Erika Lust oder Paulita Pappel, die Webseiten Bellesa oder Feuer.Zeug. Wer sich aber auf die Suche nach Orten begibt, um selbst aktiv zu werden und sich auf echte menschliche Begegnungen einzulassen, der*dem kann ich keinen einfachen Weg garantieren. Es ist nicht so, als wären alle Sexparties exklusive Privatveranstaltungen in geheimen Lofts oder mysteriösen Kellergeschossen, die man nur mit persönlicher Einladung von innen zu sehen bekommt. Der Zugang zu vielen sogenannten sexpositiven Partys ist oftmals kaum schwerer, als die Türschwelle eines gewöhnlichen Nachtclubs zu überschreiten.

Vielmehr besteht die Schwierigkeit darin, unter all solchen Events, die sich allesamt als unkonventionell verstehen, die tatsächlich unkonventionellen von den so enttäuschend konventionellen zu unterscheiden. Letztere zeichnen sich nicht durch schlechteren Gruppensex oder mangelnden Drogenkonsum aus, sondern dadurch, in ihrer scheinbaren Andersartigkeit all die klassischen gesellschaftlichen Muster normgetreu zu reproduzieren. Es gibt diverse öffentliche wie private Veranstaltungen, die sich als sexpositiv begreifen und beispielsweise nur für Frauen oder nur für Bisexuelle konzipiert sind. Auf diesen kann allein durch die Komposition der Teilnehmenden, das heißt den Ausschluss heterosexueller cis Männer, eine wunderbare Vertrautheit, Gleichberechtigung und Konkurrenzlosigkeit herrschen, wie sie in der Mainstream-Gesellschaft unter den patriarchalen Augen kaum zu erhoffen ist. Doch bin ich in meiner Sturm-und-Drang-Zeit sexueller Selbstentdeckung leider auch auf Veranstaltungen gelandet, die mehr einem miniaturisierten, konzentrierten Abbild der normalen, konservativen Gesellschaft glichen als einer subversiven Parallelgesellschaft.

Jenseits des sozial »Normalen« standen all diese Festlichkeiten insofern, als dass sie einen Raum für individuelle Experimente und Freiheiten boten, die im sexuellen »Alltag« schwer zu artikulieren, geschweige denn zu realisieren sind. Welche Phantasie dich auch ergriff, meistens konntest du thematisch passende Partyreihen oder einwilligende Partner*innen finden. Doch der Rahmen, in dem sich diese Phantasien verwirklichen durfte, variierte stark und war teilweise undurchsichtig. Auch ich konnte im magischen Theater von Kostümen, kostenlosen Drogen und schönen nackten Körpern leicht vergessen, in welcher Situation ich mich befand. Für mich als junge, unerfahrene Frau waren es häufig ältere, erfahrenere Frauen mit einem besseren Gespür für »Set und Setting«, die mich auf Unstimmigkeiten aufmerksam machten und Locations, Kundschaft oder Motto hinterfragten. Auf meiner ersten öffentlichen Sexparty hätte ich mir so jemanden gewünscht.

Nachdem ich vor einigen Jahren mehrere privat organisierte Zusammenkünfte von bekannten Frauen und Männern aus meiner kinky Community miterlebt hatte (diese fanden häufig in Hotelzimmern, Wohnungen oder Hinterräumen von Bars statt), wurde ich flügge und besuchte spontan meine erste größere öffentliche Sexveranstaltung. Sie befand sich tief im Berliner Süden in einem ehemaligen Bordell, trug das Motto »Frauen nackt, Männer Anzug« und kostete für erstere einen zweistelligen, für letztere einen dreistelligen Betrag Eintritt plus eine mitgebrachte Flasche Champagner. Es gab außerdem ein Sushi Buffet und einen Whirlpool und das mehrstöckige Haus sah von innen so aus, wie sich manche wohl das Landhaus des Marquis de Sade - einem französischer Schriftsteller, der vor allem durch seine gewaltpornographischen Romane bekannt wurde - ausmalen. Entsprechend fiel die Klientel aus: Wohlhabende Männer, die unter der von früheren Generationen erkämpften Fahne sexueller Befreiung Anspruch auf das nackt herumlaufende Freiwild erhoben. Diese Verhältnisse mögen die erotischen Träume mancher Anwesenden, weiblich wie männlich, erfüllt haben; für Macht- und Unterwerfungsspiele, Fesseln und Schmerzen (BDSM) bot es eine gut ausgestattete Plattform.

Es ist fraglos wichtig, dass alle Menschen geschützte Räume haben, in denen sie »safe, sane & consensual« (sicher, zurechnungsfähig und im Konsens) ihre sexuellen Phantasien ausleben können. Ob dieser Raum aber dafür ein geeigneter war, daran zweifle ich im Nachhinein: Das hohe, nach Geschlecht differenzierte Eintrittsgeld bescherte ein Publikum, das nicht nur die Ideen von feministischer Sexpositivität und gleichberechtigten Möglichkeiten zur Entdeckung von Körperwissen unterwanderte, sondern die gesamtgesellschaftlichen Strukturen – von denen sich die Teilnehmenden besonders abzugrenzen suchten – auf groteske Weise reproduzierte: Angezogenen Männern, die für ihr Geld etwas sehen und spüren wollten, standen entblößte Frauen gegenüber. Diese Organisation schaffte ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Geschlechtern vor Ort, das es erschwerte, sich einstimmig und sorglos auf ein sexuelles Verhältnis einzulassen. Die finanzielle Schuld, in der die Frauen sich gegenüber den Männern wägten, produzierte eine Geschlechterbeziehung nach der kapitalistischen Konsumlogik, wodurch Abhängigkeit und Unterwerfung schon im Rahmen der Veranstaltung hergestellt war (statt erst unter zwei oder mehreren Personen, die sich auf ein solches »Spiel« miteinander einigten). Das »Spiel« der Gesellschaft – die soziale Konstruktion von Geschlechterrollen und ihr kommerzieller Charakter – wurde wortwörtlich genommen, exzessiv weitergespielt ins Extremum: Männer sind ihr Geld, Frauen sind ihre Körper. Ich denke nicht, dass dieser exzessiven Nachahmung der gesellschaftlichen Ordnung das Ziel hatte, kreative Kritik zu üben und unpolitische sexuelle Lust wieder anzueignen.

Vielmehr glaube ich, dass sich bei der Errichtung solcher »andersartiger Lebensräume« die konventionellen Vorlagen unserer Sozialisierung einschleichen. Besonders bei sexpositiven oder kinky Räumen ist es meiner Ansicht nach wichtig, achtsam zu bleiben: Es gibt genug »Spielflächen«, die respektvolle Begegnungen auf Augenhöhe ermöglichen – das ist im Vergleich zu Pornographie für Männer oder geldgesteuerten Sexpartys wirklich anders, neuartig, subversiv. Queer oder feministisch motivierte Veranstaltungen eröffnen neue Blickfelder; andere Formate wiederum erscheinen mir wie ein ungewollt ehrlicher Spiegel, der der Gesellschaft ihre obszöne, konservative Geschlechterordnung unverschleiert vor Augen hält.

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