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Die ganz große Lösung

Vom schönen Gefühl, an der Arztrechnung zu erkennen, dass das Maximale herausgeholt wurde

So ausgiebig beschäftigt uns seit Langem die große Seuche, dass man kaum noch einen Sinn hat für andere Gebrechen, die doch auch zu ihrem Recht kommen wollen. Nehmen wir die Zähne. Oft verfallen sie schneller als der menschliche Gesamtkorpus, weshalb mein Zahnarzt anlässlich kleinerer Reparaturmaßnahmen gelegentlich dezent frohlockte: »Irgendwann kommt die ganz große Lösung!«

Vor einiger Zeit entfernte er einen Backenzahn, der keinerlei Widerstand mehr leistete, sondern zur zügigen Entnahme praktisch bereitlag. Ich erwähne das nur, um zu zeigen, dass ich mich stets bemühe, aktiv mitzuwirken und ein nützlicher Teil der Gesellschaft zu sein. Oder, wie der Bundespräsident in der Weihnachtsansprache sagte, »umsichtig und verantwortungsvoll« zu handeln, weil es »auf jeden Einzelnen ankommt«.

Dann kam im Behandlungszimmer das Stichwort Implantat ins Spiel. Der Zahnarzt schickte mich in eine kieferchirurgische Praxis, eine Art Fließbandmanufaktur von kühler Eleganz für tiefschürfende Eingriffe. Der Operateur dort erklärte, er sei äußerst routiniert, und innerhalb einer Viertelstunde hatte er mir zwei Hightech-Teile in den Kauknochen hineinpraktiziert.

Was folgte, war eine zeitweilige Deformation der unteren Gesichtshälfte, die sich gut im Homeoffice verstecken ließ, und eine Rechnung, deren Studium im Detail offenbarte, in den Genuss welcher Höchstleistungen ich gekommen war. Beispielsweise war die blitzschnell verabreichte Betäubungsimpfung »besonders schwierig«, was eine Multiplikation des Grundpreises mit dem Faktor 2,9 rechtfertigt. Die »blutungsbedingt erschwerte Übersicht« führte bei mehreren Arbeitsschritten zur Anwendung des Faktors 3,5, was mich in der Annahme bestärkt, dass andere Patienten ihr Blutsystem besser unter Kontrolle haben müssen. Interessant auch, dass die »besonders schwierig … herzustellende Parallelität bei mehreren Implantaten« ebenfalls Faktor 3,5 erfordert; kurz fragte ich mich, ob nicht der parallele Einbau eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste.

Aber nein, das ist ungerecht. Eine ordentliche Bezahlung ist eine Frage des Respekts, wie der Bundeskanzler in der Neujahrsansprache sehr richtig bemerkte, und gern kann alles mit Faktor 10 oder 20 multipliziert werden, wenn es meine Wertschätzung für den Inhaber dieser gediegenen Praxisfluchten dokumentiert und verhindert, dass er der Altersarmut anheimfällt. Gleichzeitig schäme ich mich dafür, einem Vertreter der »fleißigen Mitte«, um die sich der Finanzminister gerade erst gesorgt hat, einen derart unaufgeräumten Rachenraum zuzumuten, dass unter Faktor 3,5 kaum etwas zu machen ist.

Dennoch erkläre ich hiermit an Eides statt, nach besten Kräften zum Gelingen beigetragen zu haben. Ich habe stillgehalten, das Maul aufgerissen, Einblicke in mein Innerstes gewährt. Wenn es der Operateur dennoch so schwer hatte, macht mich das betroffen. Mich und mein Konto. Aber es ging ja gut. Schön ist es, wenn man in der Rechnung bestätigt findet, dass tatsächlich das Maximale herausgeholt wurde.

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