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  • Ich bin ein Star – holt mich hier raus!

Unschuldiger Eskapismus in Reinform

»Ich bin ein Star – holt mich hier raus!« läuft in wenigen Tagen wieder an. Wer sich etwas Gutes tun möchte, sollte aller Vorurteile zum Trotz einschalten.

Wie auf Knopfdruck beschert die Sendung »Ich bin ein Star – holt mich hier raus!« dem Heimsender RTL seit über einem Jahrzehnt Traumquoten – und das absolut zu Recht. Das »Dschungelcamp« ist und bleibt ein Format, das passgenau und zuverlässig den Rahmen des verordneten Konsums und der organisierten Bereicherung der arbeitsfreien Zeit ausfüllt. Außerdem erscheint die Sendung heutzutage, wo in anderen TV-Produktionen Wildfremde vor der Kamera für die Einschaltquote heiraten oder zum Zwecke der Verpaarung Geschlechtsteile statt Menschen begutachtet werden, geradezu unschuldig und auf wunderbare Weise altmodisch.

Ja, man kann das »Dschungelcamp« primitiv und unkultiviert finden – aber darin spiegelt sich nur eine reaktionäre Arroganz wider, die verkennt, wie subversiv und wundervoll das Vorführen (teilweise mal gut bezahlter) prominenter Menschen ist. Alle schreien immer gerne »Eat the rich«, aber wenn einst überbezahlte Berühmtheiten eklige Dinge in Wettbewerben verspeisen müssen, will keiner damit in Verbindung gebracht werden. Dabei gibt es, vertrauen Sie mir, eigentlich keinen größeren Spaß.

Nadia Shehadeh
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Seit 2019 ist sie Kolumnistin des "Missy Magazine", außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Für "nd" schreibt sie die monatliche Kolumne "Pop-Richtfest".

Vor ein paar Jahren hätte ich vielleicht noch wie eine Adorno lesende Klugscheißerin auf dem Dschungelcamp herumgehackt, aber heute möchte ich ihm einen Dankesbrief schicken. Nichts erfreut mich mehr als die Aussicht darauf, in ein paar Tagen wieder einzutauchen in die Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die sich im Dschungelcamp widerspiegelt. Vor allem, nachdem der »Dschungel« im letzten Jahr aufgrund der Corona-Pandemie buchstäblich ausfallen musste und ersatzweise in Köln gedreht wurde – meiner Meinung nach Perlen vor die Säue. Dieses Mal ist Südafrika der Schauplatz menschlicher Dramödien, und die Aussicht auf Schmutz, Dreck, Kakerlaken-Speisungen und Kacke-Bäder lässt mich, die seit zwei Jahren Desinfektionsspray versprüht und keine Hände mehr schütteln mag, innerlich aufheulen – aber auf eine sehr kathartische Art.

Mit dabei sind dieses Jahr neben den üblichen Verdächtigen, die man nicht mal im Traum kennen könnte, sogar ein paar bekannte Gesichter: Tina Ruland ist mir ein Begriff, Harald Glööckler ebenfalls, und sogar mit Anouschka Renzi und Lucas Cordalis kann ich was anfangen. Die restlichen der (insgesamt zwölf) Kandidat_innen werde ich während der Sendetermine kennen- und mit Sicherheit lieben lernen – und nach dem Finale mit einem außerordentlichen Sinnloswissen über C-Promis ausgestattet sein, dass sich gewaschen hat.

Über die Jahre habe ich durch das Dschungelcamp vieles gelernt: Dass Ramona Leiß Schmutz hasste wie keine zweite. Dass Micaela Schäfer so bikinizonenrasiersüchtig war, dass sie auch im braunen Schmutzwasser eines australischen Tümpels den Ladyshaver nicht aus der Hand legen konnte. Und dass Menderes Bağcı ein richtig feiner Kerl ist. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um keine bahnbrechenden oder weltbewegenden Erkenntnisse, aber für einen erquicklichen Smalltalk unter Gleichgesinnten reicht es allemal.

Und deswegen wird mich auch keiner dazu bewegen, mich verzweifelten pseudo-intellektuellen Debatten über den Real-Wert von IBES als Unterhaltungsprodukt anzuschließen. Die ekligen Widrigkeiten des Dschungels werden mich dieses Jahr daran erinnern, dass es vor Corona eine Zeit gab, in der man mit bloßen Händen einen Snack verzehrte, obwohl man Sekunden vorher die Schmierfinger auf einem kontaminierten Einkaufswagen ruhen ließ – und alleine für diesen Nostalgie-Flash werde ich keine Folge auslassen.

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