Showdown und Show um Wahlrechtsreformen

Die Demokraten im US-Senat versuchen, gegen interne Opposition zwei Gesetze für faire Wahlen durch den Kongress zu bringen

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn man es nicht versucht, liegt die Chance bei null, das scheint das Kalkül von Joe Biden und den Demokraten im US-Senat zu sein. Doch die Chance, dass zwei Gesetze zum Schutz der Demokratie und des Wahlsystems in den USA in den nächsten Tagen verabschiedet werden, ist sehr gering. Schließlich gab es schon mehrere Anläufe, die stets an der Filibuster-Verfahrensregel scheiterten, die 60 Ja-Stimmen für die Verabschiedung von Gesetzen vorsieht, und an der Weigerung zweier konservativer Demokraten-Senatoren, diese abzuschaffen oder zu reformieren: Joe Manchin und Kyrsten Sinema. Beide sagten vergangene Woche noch einmal öffentlich nein. Mehrheitsführer Chuck Schumer - seinerseits unter Druck durch die Parteibasis, Bürgerrechtler und eine mögliche Vorwahlherausforderung von links - will am Dienstag trotzdem über die zwei Gesetzesvorschläge abstimmen lassen. Dann müssten Manchin und Sinema auf großer Bühne gegen ihre Partei stimmen, so das Kalkül, die Problem-Senatoren noch unter Druck zu setzen.

Die müssten dann auch Kompromissvorschläge ablehnen, die sie selber verhandelt haben: den Freedom to Vote Act und den John-Lewis Voting Rights Act. Ersterer hatte Joe Manchin mitverfasst, nachdem er den weitergehenden For The People Act, der unter anderem Wahlkampfspenden von Konzernen beschränkt, abgelehnt hatte. Das Kompromissgesetz würde den Wahltag zu einem Feiertag machen und es Wählern ermöglichen, sich noch am selben Tag zur Wahl registrieren zu lassen. Dazu würde es das Recht auf Briefwahl festschreiben, die Praxis des Gerrymandering verbieten und Ex-Sträflingen überall im Land das Wahlrecht zurückgeben. Auch ein Programm zur öffentlichen Wahlkampffinanzierung ist enthalten.

Der John-Lewis Voting Rights Act soll eine 2013 vom mehrheitlich konservativ besetzten Supreme Court ausgesetzte Vorschrift aus dem historischen Voting Rights Act von 1965 wieder in Kraft setzen, nachdem Staaten und Landkreise mit einer Geschichte der Diskriminierung vor einer Änderung von Wahlkreiskarten und Wahlprozeduren eine Genehmigung des US-Justizministeriums einholen müssen.

Eine komplette Abschaffung des Filibusters, wie sie progressive Aktivisten seit Jahren und immer größere Teile der Partei fordern, ist aktuell vom Tisch. Abgestimmt werden soll nun sowohl über eine Ausnahme vom Filibuster für die beiden Wahlrechtsreformgesetze als auch für eine Reform des Filibusters, die den bis in die 1971 üblichen »talking filibuster« zurückbringt. Anders als derzeit, in der die Senatsminderheit per einfacher Mitteilung die Verabschiedung von Gesetzen blockieren kann, müssten dann mindestens 41 Mitglieder der Oppositionspartei dafür physisch anwesend sein und Gegenreden halten.

Manchin und Sinema behaupten, die beiden Gesetze zu unterstützen, wollen aber den Filibuster nicht antasten und argumentieren fälschlicherweise, der Filibuster sei schon von den Gründern der Republik eingeführt und nie verändert worden.

Das Einzige, was sich seit vergangenem Jahr geändert hat, ist, dass US-Präsident Joe Biden sich in der Filibusterfrage endgültig vom »Institutionalisten« zum Gegner gewandelt hat - im Vorwahlkampf 2020 noch sprach er sich für den Erhalt der Parlamentsregel aus. Bei einer Rede in Georgia, die vor allem an Manchin und Sinema gerichtet war, warb Biden eindringlich für die zwei Gesetze und eine Filibusterreform: »Es passiert nicht nur hier in Georgia.« 19 Staaten hätten 34 Gesetze zur Wählerunterdrückung verabschiedet. »Die Senatsregeln müssen - wie auch immer - geändert werden, damit eine Minderheit nicht länger Wahlrechtsgesetze aufhalten könne.«

Wahlrechtsgruppen in Georgia boykottierten die Biden-Rede. Sie fordern »Taten statt einer Show«. Offizieller Anlass der Senats-Abstimmung über die beiden Gesetze war übrigens der Martin-Luther-King-Tag am 17. Januar.

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