Ambivalente Beziehungen

Die Haltung der deutschen Linken zu Russland ist nicht so eindeutig, wie viele politische Beobachter behaupten

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 8 Min.

Wenn manche große Medien über die Linke und Russland schreiben, schrecken sie nicht vor Kriegsrhetorik und Kolaborationsvorwürfen zurück. »Moskaus fünfte Kolonne«, titelte der »Cicero« vor einigen Jahren über die Linkspartei in Deutschland, als sich die Krise in der Ukraine 2014 auf dem Höhepunkt befand. »Die Linke zeigt ihr wahres Gesicht – als eine Partei, der die Gefolgschaft Putins wichtiger ist als das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung. Mit solchen Leuten darf man in einer Demokratie keine Politik machen«, urteilte Chefredakteur Alexander Marguier. Etwas simpler drückten es Boulevard-Blätter aus. Es gebe einen »Linke-Kampf für Putin«, meinte etwa die »B.Z.« zu wissen.

Diese Rhetorik setzt sich zuweilen in der aktuellen Situation fort, in der Russland seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht und von westlichen Staaten Sicherheitsgarantien fordert – zugleich die Truppen der Kiewer Regierung, die sich im Konflikt mit den Separatisten im Donbass befinden, von westlichen Staaten weiter aufgerüstet werden. Tatsächlich ist die Position in der deutschen Linken und der Linkspartei zu Russland gar nicht so eindeutig, wie sie zuweilen in der Öffentlichkeit dargestellt wird.

Doch im Mediengeschäft geht es oft in erster Linie darum, ein Produkt zu verkaufen, anstatt zu differenzieren. Dies gelingt offensichtlich, wenn man bei den Lesern Assoziationen weckt, wonach besonders die Ostdeutschen, aber auch so manche Westlinke in alter Tradition trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion weiter an der Seite Moskaus stünden. Wer in Deutschland alte Feindbilder im Osten und auf der politischen Linken schafft, der hofft, damit eine höhere Auflage beziehungsweise Klickzahlen im Internet erzielen zu können.

Einerseits ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es in der Linken viel Verständnis für die russische Außenpolitik gibt. Grundsätzlich stehen deutsche Linke der Nato und der Expansion nach Osten kritisch gegenüber. Aber wirkliche Begeisterung für die Politik von Präsident Wladimir Putin ist eine absolute Seltenheit. Erwähnenswert ist lediglich, dass im Umfeld der DKP zumindest eine Zeit lang große Sympathien für die selbst ernannten Volksrepubliken im Osten der Ukraine existierten. So gab es im September 2018 beim Pressefest der DKP-Zeitung »Unsere Zeit« eine Diskussionsrunde unter dem Titel »Frieden mit Russland – Solidarität mit den Volksrepubliken im Donbass«. Daran nahm auch Stanislaw Retinskij, Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Donezker Volksrepublik, teil.

Forderungen nach einer EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine

Zwar gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sich der Donbass mit seiner derzeitigen politischen Führung zu einer sozialistischen Gesellschaft entwickelt, aber die Solidaritätsbekundungen vom Umfeld der DKP lassen sich auch dadurch erklären, dass die Kiewer Regierung in dieser Zeit repressiv gegen die Kommunistische Partei in der Ukraine vorging, die zuvor jahrelang im Parlament vertreten war. Die Sowjetfolklore im Donbass wird ihr Übriges getan haben, um auch bei deutschen Kommunisten Sympathien für die Separatisten zu wecken. Auch bei der Kuba-freundlichen Fiesta de Solidaridad in Berlin-Lichtenberg wurde im Sommer 2017 auf der Bühne zur Solidarität mit der sozialistischen Karibikinsel, der Regierung von Venezuela und mit dem Donbass aufgerufen.

Aber das sind nicht die Positionen, die von führenden Vertretern der Linkspartei vertreten werden. So spricht die Parteivorsitzende Janine Wissler in Interviews von einer »Annexion der Krim«, die sie kritisiere. Im derzeitigen Konflikt zwischen Russland und westlichen Staaten spricht sich Wissler stets für eine Verhandlungslösung aus. Inzwischen wird in Teilen der Linkspartei trotz der heftigen Auseinandersetzungen um das EU-Assoziierungsabkommen, die letztlich zum Maidan-Umsturz führten, eine Beitrittsperspektive des Landes zur EU gefordert. So hat der Außenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi vorgeschlagen, mit der Ukraine »zu irgendeinem Zeitpunkt« Verhandlungen über einen Beitritt zur EU aufzunehmen. Die Aufnahme des Landes in die Nato lehnt der Linke-Politiker hingegen ab.

Eine friedliche Koexistenz westlicher Staaten mit Russland kann es aus der Perspektive vieler Linke-Politiker nur geben, wenn enge wirtschaftliche Beziehungen bestehen. Das ist ein Grund, warum es in der Partei zahlreiche Befürworter der Pipeline Nord Stream 2 gibt, die unter der Ostsee Gas von Russland nach Deutschland transportieren soll. Allerdings stecken dahinter auch ökonomische Überlegungen. Immerhin hängen auch einige Arbeitsplätze an dem Projekt, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wo Die Linke gemeinsam mit der SPD von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig regiert, die selbst eine vehemente Befürworterin von Nord Stream 2 ist.

Allerdings findet auch hier in Teilen der Linken inzwischen ein Umdenken statt. Denn nicht wenige halten es für angebracht, sich auf die Seite der Klimabewegung zu stellen, die fossile Energieträger und somit auch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ablehnt. In ihrem Wahlprogramm hatte sich die Linke darauf geeinigt, ein »Erdgasausstiegsgesetz« und den Rückzug des Staates aus allen Vorhaben zu fordern, »die der fossilen Energiegewinnung dienen«. Die Auseinandersetzungen in der Energiepolitik waren auch der Hintergrund für den Streit um den Linke-Abgeordneten und Nord-Stream-Unterstützer Klaus Ernst, der auf Wunsch der Fraktionsmehrheit neuer Vorsitzender des Bundestags-Klimaausschusses wurde. Diese Entscheidung hatte parteiintern viel Kritik hervorgerufen, besonders bei denjenigen, die der Klimabewegung nahestehen.

Kritik an der Auflösung von Memorial

Bleibt noch die Frage, wie die Linke sich zur russischen Innenpolitik positioniert. Ende Dezember schrieb die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow im Kurznachrichtendienst Twitter, dass das Urteil eines russischen Gerichts, wonach die Menschenrechtsorganisation Memorial aufgelöst werden solle, eine Schande sei. »Für mich als Linke ist glasklar: Menschenrechts-Organisationen dürfen nicht verboten, die Aufarbeitung der Verbrechen des Stalinismus darf nicht kriminalisiert und die Hilfe für NS-Opfer nicht bestraft werden«, so Hennig-Wellsow. In diesem Zusammenhang sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass trotz einzelner Aussagen aus der Linken der große Aufschrei bei diesem Thema ausblieb.

Dabei zeigt sich gerade am Beispiel von Memorial, dass die historischen Erfahrungen deutscher Linker mit der Sowjetunion sehr unterschiedlich waren. Deutliche Kritik an dem Vorgehen der russischen Regierung und Justiz gegenüber Memorial äußerte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). In einer Pressemitteilung des Vereins, die Anfang Januar veröffentlicht wurde, heißt es, man sei »entsetzt über die Verfügung des russischen Obersten Gerichtshofs zur Zwangsauflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial und fordern die sofortige Rücknahme dieser Entscheidung«. Die VVN-BdA erinnerte daran, dass eine ihrer »wesentlichen Aufgaben die Erinnerung an Verfolgung und Widerstand« sei. »Dazu gehört auch das Schicksal tausender deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten, die von sowjetischen Machtorganen in dem Land, in dem sie Schutz gesucht hatten, eingekerkert, gefoltert und oft auch ermordet wurden«, schrieben die Bundesvorsitzenden Cornelia Kerth und Florian Gutsche. Memorial International habe dabei nach 1989 mit seiner sehr konkreten und akribischen Tätigkeit einen unschätzbaren Beitrag zur Anerkennung und Ehrung von in der Sowjetunion verfolgten deutschen Antifaschistinnen und Antifaschisten geleistet. Andererseits betont die VVN-BdA auch die historische Leistung der UdSSR bei der Befreiung Europas vom deutschen Faschismus, der mehr als 25 Millionen Menschen aus allen Völkern der Sowjetunion das Leben gekostet hat, und »wendet sich konsequent gegen jede Art der Relativierung oder Verfälschung dieses Beitrages«.

Ähnlich äußerte sich der Arbeitskreis Sowjetexil. Er richtete ein Schreiben an den Botschafter der Russischen Föderation, Sergei Netschajew. Die Initiatoren sind Mitglieder des Arbeitskreises zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration während der Nazizeit verfolgten, deportierten und ermordeten deutschen Antifaschisten. »Mit der ungleich größeren Reichweite von Memorial International verbindet unseren Arbeits- und Gedenkkreis die Internationalität des Anliegens: Den verschwiegenen, verleugneten, in Massengräbern verscharrten Opfern der Stalinherrschaft werden ihre Biografien zurückgegeben. Angehörige von Sowjetemigranten verschiedener Nationen können dank Memorial endlich den Spuren ihrer Nächsten nachgehen, ihnen Grabstätten einrichten und der Trauer öffentlich Ausdruck verleihen«, heißt es in dem Schreiben. Die Archive müssten geöffnet bleiben, in denen die über Jahrzehnte geheim gehaltenen Zeugnisse der Repression verwahrt sind. Das Schließen der Moskauer Zentrale und die erzwungene Auflösung von Memorial International würden die Weiterarbeit an der Vergangenheit nicht verhindern. »Das Thema stalinistische Verfolgung ist in der Welt. Auch künftige Generationen werden von den Verbrechen des sowjetischen Staates an seinen Bürgern erfahren.«

Weiterführende Fragen des »nd« wollte zumindest die VVN-BdA aber nicht beantworten. »Wir haben uns zu dem Verbot von Memorial geäußert, weil wir mit dieser Organisation enge Berührungspunkte haben, aber wir wollen keine allgemeinen Aussagen zur Rolle der Linken in der Thematik tätigen. Wir sind eine spektrenübergreifende Organisation, in der verschiedene Meinungen und Positionen vorherrschen«, teilte die Pressestelle mit. Dabei drehten sich die nd-Fragen nicht nur darum, ob und aus welchen Gründen sich die deutsche Linke schwer tut mit einer Aufarbeitung des Stalinismus, sondern auch darum, wie der aktuelle Konflikt zwischen Russland auf der einen sowie der Ukraine und westlichen Staaten auf der anderen Seite zu bewerten ist. Zumindest die Kritik an der Auflösung von Memorial wurde von einigen Mitgliedern der VVN-BdA gegenüber »nd« noch vehementer vertreten. Das Thema bleibt offensichtlich nicht nur für die Linkspartei, sondern auch für einige Vereine und Verbände mit linken Mitgliedern heikel.

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