Kampf gegen Windmühlen

Von Arten- bis Landschaftsschutz: Viele Faktoren verzögern oder verhindern den Windenergieausbau

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.

Nach über fünf Jahren Prüfungs- und Genehmigungsphase ist es endlich so weit: Auf einem Feld bei Großbeeren in Brandenburg, südlich von Berlin, werden drei neue Windräder errichtet. Die erste, bis zur Flügelspitze 180 Meter messende Anlage steht bereits, spätestens im März soll das Trio vollständig sein. 17 Millionen Euro investieren die Berliner Stadtwerke, der öffentliche Energieversorger der Hauptstadt, in die drei Hochleistungswindenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 17,1 Megawatt. »Wir haben mit unseren bald 16 eigenen Windrädern plus einer Beteiligung an einem Windpark dann mehr als 68 Megawatt Windkraft-Leistung am Netz, womit wir rund 56 000 Haushalte versorgen können«, sagt Stadtwerke-Geschäftsführerin Kerstin Busch.

Alle 16 Windkraftanlagen der Stadtwerke stehen in Brandenburg, im Süden zwischen Teltow und Stahnsdorf und nördlich von Berlin bei Bernau - großteils auf Flächen der Berliner Stadtgüter, die Eigentum des Landes Berlin sind. Im Stadtbereich selbst gibt es lediglich sechs Windräder mit einer Gesamtleistung von 16 Megawatt, alle im Bezirk Pankow. Sie gehören der Firma Neue Energie Berlin und der Unternehmensgruppe Teut. Der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe zufolge spielt »der Ausbau der Windenergie im Vergleich zur Solarenergie eine untergeordnete Rolle«, wie Sprecher Matthias Wulff auf nd-Anfrage mitteilt.

Das Problem der dicht besiedelten Hauptstadt: Es gibt einfach nicht genug Platz. Eine Anlage braucht etwa 4000 bis 4500 Quadratmeter Platz, zudem ist zu Wohn-, Natur- und Landschaftsschutzgebieten ein Kilometer Abstand vorgeschrieben. Größere Windparks stünden im »Flächenkonflikt« mit Gewerbe- und Siedlungsentwicklungen, so Wulff. Daher weichen die Stadtwerke ins Umland aus. Brandenburg nimmt in der Windenergieerzeugung laut dem Landesverband Windenergie Berlin-Brandenburg mit einer Gesamtleistung von über 7400 Megawatt nach Niedersachsen Platz zwei der Bundesländer ein. »Brandenburg ist als Energielieferant wichtig«, sagt Thomas Meinelt, Projektleiter für Windenergie der Stadtwerke, zu »nd«.

Doch auch hier gebe es immer wieder Konflikte, denn viele Gemeinden würden keine Windparks in ihrer Nähe wollen und gegen die Regionalpläne klagen. Ist eine Fläche als Windkrafteignungsgebiet ausgeschrieben, könne das zwar nicht verhindert werden, aber die Gemeinden haben Mitspracherechte. Im Fall der drei neuen Windräder bei Großbeeren habe der betroffene Ortsteil Sputendorf der Gemeinde Stahnsdorf diese Möglichkeit genutzt. Letztlich wurden die Anlagen 20 Meter niedriger als ursprünglich geplant, das Genehmigungsverfahren zog sich in die Länge. »Das ist ein Zeitfresser. Wir haben es hier oft mit widerstreitenden Interessen zu tun. Unsere Aufgabe ist klar der Ausbau der Erneuerbaren Energie, denn wir wollen die Energiewende«, sagt Meinelt.

Auch Peter Weber, Geschäftsführer von Neue Energie Berlin, kann davon ein Lied singen. Sein Unternehmen hat die ersten beiden Berliner Windräder 2008 am Autobahndreieck Pankow und 2013 in der Stadtrandsiedlung Malchow gebaut, außerdem das jüngste 2021, ebenfalls in der zu Pankow gehörenden Stadtrandsiedlung, in Kooperation mit der Unternehmensgruppe Teut. Bis zu sechs Jahre dauerten die Planungen. »Die Landesregierung versteckt sich davor, Genehmigungsflächen auszuweisen. Anträge werden totgeprüft«, kritisiert er gegenüber »nd«. Tatsächlich werden in der Hauptstadt laut Wirtschaftsverwaltungssprecher Matthias Wulff, anders als in Flächenbundesländern, gar keine Windkrafteignungsgebiete ausgeschrieben, weshalb jede Planung »Einzelfalluntersuchungen« unterliegt.

Dabei müssen vor allem die Ansprüche des Artenschutzes berücksichtigt werden, da die Rotorblätter der Windräder für große Vögel wie Rotmilane, Mäusebussarde und Seeadler sowie für Fledermäuse, die entsprechende Höhen erreichen, eine Gefahr darstellen. »50 Prozent aller Rotmilane brüten in Deutschland, deshalb haben wir eine Verantwortung für die Erhaltung der Art«, sagt Rainer Altenkamp, Vorsitzender des Naturschutzbundes (Nabu) Berlin, zu »nd«.

Für Fledermäuse gebe es bereits Lösungen, da deren Flugzeiten bekannt seien und die Windanlagen in dieser Zeit abgeschaltet würden, erklärt Thomas Meinelt von den Stadtwerken. Für das Problem der Greifvögel werde zurzeit an Sensoren gearbeitet, die die Tiere registrieren und das Windrad dann ausschalten sollen. Das gehe jedoch viel zu langsam voran und noch sei unklar, ob ein solches System überhaupt funktionieren wird, kritisiert Altenkamp. »Wenn der Tod dieser Arten in Kauf genommen wird, dann ist Windkraft keine grüne Energie mehr. Der Nutzen steht dann in keinem Verhältnis zu dem verursachten Schaden«, findet der Naturschützer. Bislang gehen die Vögel jedoch vor, einzelne Seeadler oder deren Horste hätten in der Vergangenheit schon Windeignungsgebiete verhindert, sagt Windkraft-Projektleiter Meinelt.

Er würde sich wünschen, dass zumindest bei weichen Ausschlusskriterien wie dem Landschaftsschutz, der das Erscheinungsbild einer Naturlandschaft vor Bebauung bewahren soll, mehr Flexibilität möglich ist. »Wenn ein Landschaftsschutzgebiet zum Beispiel schon durch eine Autobahn vorbelastet ist, kann man den Randbereich doch für die Erzeugung von regenerativen Energien nutzen«, findet er. Ähnliches traf zum Beispiel auf das Landschaftsschutzgebiet Schönerlinde zu, das an einer Bundesstraße liegt und in dem Neue Energie Berlin »durch Hartnäckigkeit«, wie Geschäftsführer Peter Weber sagt, letztlich doch ein Windrad errichten konnte. »Wir hatten das Gefühl, das höchste Bordell Deutschlands zu bauen«, sagt er über seine Erfahrung mit dem Genehmigungsstreit.

Weber sieht in Berlin anders als der Senat durchaus noch Windkraftpotenzial, nämlich in den Wäldern. Das hält Rainer Altenkamp vom Nabu aufgrund des »dafür notwendigen massiven Wegebaus und den Kahlschlag auf den Stellflächen für extrem problematisch«. Zudem seien »auch dort viele Großvögel gefährdet«, warnt er. Die Energiewende dürfe nicht auf Kosten des Artenschutzes vorangetrieben werden. Da es an den meisten unproblematischen Standorten bereits Windkraftanlagen gebe, müsse der Ausbau in erster Linie durch »Repowering« (Erneuerung) erfolgen. Das bedeutet, dass die ältere Generation Windräder durch modernere und leistungsfähigere Anlagen ersetzt wird.

Auch Tomas Meinelt von den Stadtwerken sieht das als wichtigen Lösungsansatz: »Dann reichen zukünftig zwei Windräder an Stelle von ehemals zehn. Die größeren haben auch nur noch etwa neun Umdrehungen pro Minute und somit ein viel ruhigeres Erscheinungsbild«, sagt er mit Blick auf die Akzeptanz in der Bevölkerung. Dennoch müsse es im Sinne der klimaneutralen Energieerzeugung auch noch weitere Standorte geben. Zurzeit würden dafür Stadtgüterflächen unter anderem nordöstlich von Berlin untersucht.

Ein zusätzliches Problem sei jedoch, dass der Ausbau der Stromnetze nicht hinterherkomme und die Windkraftanlagen bislang abgeschaltet würden, wenn sie zu viel Energie einspeisen. Dass »die Netze an die Erzeugungsanlagen aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien angepasst werden« müssen, nennt auch Senatswirtschaftssprecher Matthias Wulff eine »erhebliche Herausforderung«. Eine Verstärkung stehe aber nicht im Zusammenhang mit dem Windkraftausbau.

Peter Weber von Neue Energie Berlin hofft, »dass es mit der neuen Regierung ein Umdenken gibt, dass alle in Frage kommenden Möglichkeiten für Windkraft genutzt und die Verfahren beschleunigt werden.« Laut Koalitionsvertrag der rot-grün-roten Landesregierung soll der Zubau von Windenergieanlagen durch das Stadtwerk gemeinsam mit Brandenburg zumindest »angestrebt« werden.

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