Noch mehr auf Rendite getrimmt

Der Siemens-Konzern finanziert fossile Energieprojekte und will sich von Geschäftsbereichen trennen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Siemens-Chef Roland Busch präsentierte seinen Aktionären am Donnerstag ein glänzendes Zahlenwerk. Der Umsatz des Mischkonzerns legte im Geschäftsjahr 2020/2021 um 13 Prozent auf 62,3 Milliarden Euro zu. Der Auftragseingang stieg gar um 23 Prozent und war höher als die Jahresproduktion. Der Gewinn nach Steuern stieg noch rasanter um 59 Prozent. Auch zum Auftakt des neuen Jahres hat der Münchner Konzern deutlich zugelegt. 6,7 Milliarden Euro liegen nun in der »Kriegskasse«. Rund die Hälfte davon wird an die Aktionäre als Dividende ausgeschüttet werden.

Das freut nicht alle Anteilseigner. Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre in Köln forderte auf der virtuellen Hauptversammlung den Technologiekonzern auf, dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht zu werden und aus der Finanzierung fossiler Energieprojekte auszusteigen.

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Im Zentrum dieser Aktionärskritik steht der brasilianische »Superhafen« Porto de Açu im Norden von Rio de Janeiro. Dort wolle Siemens zusammen mit einem chinesischen Staatskonzern einen klimaschädlichen Gaskraftwerkkomplex errichten. Mit einer Kapazität von drei Gigawatt wird dieser zum größten konventionellen Kraftwerksprojekt Lateinamerikas - er kann bis zu 14 Millionen Haushalte mit Energie versorgen. Teil des Projektes sei auch ein Terminal, um verflüssigtes Erdgas (LNG) für die Kraftwerke anzulanden. Das Erdgas soll vor der Küste Brasiliens aus mehreren Tausend Metern Tiefe gefördert werden. Auch die Umweltorganisationen Urgewald und Deutsche Umwelthilfe hatten kürzlich das Fünf-Milliarden-Euro-Projekt kritisiert. So würden für den Bau des Hafens Hunderte Familien enteignet und regionale Fischereigebiete geschlossen.

Siemens-Chef Busch plädierte allerdings auf »nicht zuständig«. Federführend für das Kraftwerksprojekt in Brasilien sei Siemens Energy - der weltweit tätige Hersteller von Kraftwerkstechnik, der auch bei erneuerbaren Energien zu den globalen Marktführern zählt, wurde im September 2020 als eigenständiges Unternehmen von der Siemens AG abgespalten. Allerdings ist diese mit rund 40 Prozent weiterhin der größte Anteilseigner und hat also weiterhin Einfluss.

Doch die Aktionärskritik zielt über den Einzelfall hinaus. »Um den Umfang der negativen Einflüsse von Siemens auf die Erderwärmung vollständig zu erfassen, müssen auch jene Emissionen erfasst werden, die durch die Nutzung von Siemens-Produkten entstehen«, so die Kritischen Aktionäre. Erstmals weist die Siemens AG aus, wie viele Treibhausgase durch die 2021 verkauften Produkte während ihrer voraussichtlichen Einsatzdauer emittiert werden: 453,4 Millionen Tonnen CO2. Dazu kommen noch die vorgelagerten Emissionen aus den Lieferketten. In Summe ist dies mehr als ein Prozent des jährlichen Treibhausgasausstoßes weltweit und mehr als Länder wie Frankreich emittieren.

Die Reduktionsziele von Siemens halten die Kritiker daher für »wenig ambitioniert«. Das sieht Busch, der vor einem Jahr Joe Kaeser an der Konzernspitze ablöste, anders: Emissionen durch die Nutzung etwa von Siemens-Elektromotoren ließen sich vor allem durch Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien senken. Darauf habe man kaum Einfluss. Gegenüber der Politik setze man sich aber für die Dekarbonisierung der Energieversorgung ein.

Das Geschäft mit Großmotoren will Busch ohnehin ausgliedern. Die IG Metall befürchtet harte Einschnitte für die weltweit 7000 Beschäftigten, die hauptsächlich konventionelle Kraftwerke beliefern und warten. Hunderte Metaller demonstrierten am Donnerstag anlässlich der Hauptversammlung unter der Losung »Die Hütte brennt« am Hauptsitz in Nürnberg, vor dem Berliner Dynamowerk und vor anderen Standorten. Siemens-Gesamtbetriebsrätin Birgit Steinborn kritisierte einen »rein margenorientierten Abbau und Umbau zulasten der Belegschaft«.

Ex-Chef Kaeser hatte bereits den Mischkonzern geschrumpft und radikal auf Rendite getrimmt. Neben dem Energiebereich hatte er die Medizinsparte Siemens Healthi-neers erfolgreich aus dem Konzern gelöst. Beide zählen wie die Konzernmutter heute zu den Edelaktien im Deutschen Aktienindex.

An Siemens Healthineers hält Siemens derzeit sogar noch gut 75 Prozent. Da Gesundheitsaktien wegen Corona und Demografie besonders hoch im Kurs der Börsen stehen, hat die Ausgliederung Roland Busch zusätzliche »Akquisitionswährung« verschafft. Mit der von Siemens unterstützten Übernahme des US-Krebsspezialisten Varian hat sich Healthineers eine weitere große Wachstumshoffnung ins Haus geholt. Dies war mit 14 Milliarden Euro die größte Übernahme in der langen Firmengeschichte.

Dagegen gehört das Großmotorengeschäft zu einer Sparte, in der all jene Geschäfte gebündelt sind, die laut »Wirtschaftswoche« als margenschwach gelten. Dazu gehören etwa Logistiklösungen für Flughäfen, Postsortiersysteme oder die Reste der fossilen Energietechnik. Die jetzigen Proteste der Beschäftigten könnten daher der Anfang eines größeren Konflikts sein.

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