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Rettungsmission mit schlechten Chancen

Mit Kabinettsumbesetzungen will Großbritanniens Premierminister Boris Johnson die eigene Haut retten

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Politische Schwergewichte und potenzielle Johnson-Nachfolger wie Finanzminister Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss bleiben im Amt, ehrgeizige Aspiranten wie Jeremy Hunt oder Tom Tugendhat wurden beim »Revirement« übergangen. Stattdessen gilt das Posten-Jonglieren der mittleren Ebene, wobei aber niemand direkt in die Wüste geschickt wurde. Großbritanniens Premier will sich keine neuen Feinde schaffen.

So soll der wegen aristokratischer Allüren als »Minister für das 18. Jahrhundert« verschriene Jacob Rees-Mogg nicht mehr als Lord President of the Council für die Verabschiedung von Regierungsvorlagen verantwortlich sein, sondern amtiert nun als Minister für den Brexit. Der verknöcherte Reaktionär hatte bei dem Versuch versagt, den Tory Owen Paterson zu retten, der Ende des vergangenen Jahres seinen Platz im Parlament aufgeben musste, nachdem herausgekommen war, dass er für Firmen wie Randox interveniert hatte, von denen er mit teuren Beraterverträgen geködert worden war.

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Rees-Moggs Nachfolger als Sprecher der Regierungsfraktion im Britischen Unterhaus ist Sir Mark Spencer, ehemaliger Parlamentarischer Geschäftsführer. Gegen diesen laufen derzeit Untersuchungen wegen des Vorwurfs der Islamophobie. Er soll die Unter-Staatssekretärin Nusrat Ghani wegen ihres muslimischen Hintergrunds aus dem Amt gejagt haben. Spencers Posten als »Chefeinpeitscher« der Tories bekommt der Brexit-Ultra Chris Heaton-Harris. Der bisherige Staatsminister für Europafragen hatte von den Universitätsrektoren die Namen aller Hochschullehrer gefordert, die zum Brexit dozierten - sicher nicht mit freundlichen Absichten. Johnsons neuer Stabschef heißt Stephen Barclay, der auch den Job als »Kanzler des Herzogtums Lancaster« innehat und dem die Aufsicht über das Kabinettsbüro obliegt. Gemeinsam haben alle Neubesetzungen, dass die Erwählten in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt sind. Nicht bewiesenes politisches Talent, sondern die Treue zum Premierminister wird belohnt.

Statt auf das Regieren konzentriert sich der durch die Skandale um regelwidrige Partys während des Corona-Lockdowns angeschlagene Boris Johnson weiter auf die Rettungsmission in eigener Sache. Mit politischen Zugeständnissen will er Kritiker in den eigenen Reihen davon abhalten, gegen seinen Verbleib im Amt zu stimmen. So ist auch Johnsons Ankündigung zu verstehen, alle Corona-Restriktionen nicht erst Ende März, sondern bereits am 24. Februar aufzuheben. Bereits 175 000 Briten sind während der Pandemie im Zusammenhang mit Covid verstorben. Etwa 1000 weitere Fälle kommen pro Woche hinzu. Wenigstens auf diesem Feld ist das Land europäischer Spitzenreiter. Den rechten Flügel der Tories und ihren Premier lassen solche Tatsachen kalt.

Wie stehen Johnsons Chancen, seinen Job zu retten? Als nächste Maßnahme schickt er jetzt die Abgeordneten für eine Woche in den Urlaub und hofft auf Gedächtnisverlust für seine Sünden. Doch dürfte diese Überlebenstaktik wegen des bevorstehenden Berichts der Beamtin Sue Gray und den Ermittlungen der Londoner Polizei zu den Partys 2020 und 2021 nicht wirklich helfen. »Haben Sie die Regelungen gegen Covid nicht gelesen, nicht verstanden oder als für Sie irrelevant betrachtet?«, fragte Johnsons Vorgängerin Theresa May ihn am 31. Januar im Unterhaus.

Die seit Johnsons Schulzeit an der Eliteschmiede Eton verinnerlichte Haltung, über dem gemeinen Volk zu stehen, stößt viele Wähler inzwischen ab. In den Umfragen führen nicht seine Konservativen, sondern Labour. Johnsons wütende Verleumdung von Oppositionschef Keir Starmer als angeblicher Helfer des Pädophilen Jimmy Savile hat da nicht geholfen. Immer neue Fotos belegen hingegen die Party-Sünden des Premiers. Der Versuch, zur Tagesordnung zurückzukehren, muss scheitern, seine um ihre Wahlchancen fürchtenden Parteifreunde werden Johnson wohl bald stürzen.

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